April 2010 Umweltbrief.org Konsum jenseits der Kapazitäten _______________________________ Fünf Prozent der Weltbevölkerung sind für 32 Prozent des weltweiten Konsums verantwortlich. Das geht aus dem Bericht "Zur Lage der Welt 2010" hervor, den das renommierte Washingtoner Worldwatch-Institut erarbeitet hat. Wenn es so weitergeht, geht es nicht mehr lange. Würden alle so leben wie wir, müssten zwei Drittel der Menschheit weg. "Wenn wir den Zusammenbruch der Zivilisation verhindern wollen, brauchen wir nichts Geringeres als eine Umwälzung der herrschenden kulturellen Muster", erklärt Erik Assadourian, einer der Direktoren des Worldwatch-Instituts. Von Ernährungsgewohnheiten bis zu ökologischen Siedlungen - der Bericht listet 26 Beispiele auf, wie es besser gehen könnte. Böll-Vorstand Ralf Fücks: "Wir alle können dazu beitragen, umweltfreundliche Produkte und fairen Handel zu fördern." 1987 überschritt erstmals der biologische Fußabdruck der Menschheit erstmals die Kapazität der Erde. Am 19. Dezember hatten die Menschen all das verbraucht, was ihnen die Natur binnen eines Jahres zur Verfügung stellt: Holz, sauberes Wasser, Nahrung oder Platz, um den Müll zu entsorgen; auch den Klimamüll. 1995 erreichte die Menschheit diesen Tag am 21. November. Im vergangenen Jahr waren die Ressourcen schon am 24. September verbraucht. "Wir brauchen mehr Effizienz im Strombereich", so der Chef der Verbraucherzentralen. Doch damit beißt sich die Katze in den Schwanz: Billiger Strom verhindert, dass sich Strom aus Erneuerbaren Energien durchsetzt. "Wir haben die Chance, als Verbraucher ein Zeichen zu setzen", empfiehlt Hendrik Vygen, Vorstand von Germanwatch. Und zeigt, wie schwer das den Herausgebern fällt: "Zur Lage der Welt" wird eingeschweißt in Plastikfolie vertrieben. Sich die kapitalistische Welt schönzukaufen, wie es ökologisch korrekte Konsumfans seit Jahrzehnten propagieren, hat bislang noch nicht einmal dazu geführt, wenigstens das Tempo der Selbstzerstörung zu drosseln. Und Leute, die mit atmosfair nach Amerika jetten, sind keine besseren Konsumenten - sie kaufen sich bloß ein gutes Gewissen. Solange nur innerhalb des kapitalistischen Systems nach einer Lösung dieser Menschheitsfragen gesucht wird, wird sich keine Lösung finden. Denn dieses System gründet auf Wachstum, das wir uns an sich gar nicht mehr leisten können. Außerdem werden die Umweltkosten nicht einkalkuliert: Die kapitalistische Wirtschaftswissenschaft definiert das Wasser der Flüsse oder die Luft als "öffentliche Güter", die niemand besitzt. Ergo haben sie keinen Preis und können von jedem uneingeschränkt genutzt werden. Längst hat die Ressourcen- und Klimakrise diese Idee als Irrwitz offenbart. Was fehlt, ist ein System, um den Fehler zu korrigieren. Im Jahr 2006 wurden nur in Deutschland 40 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen in die Bereiche Energie, Verkehr, Infrastruktur und Agrar gesteckt. Bei der Preisbildung der Unternehmen müssten in Zukunft die externalisierten Kosten (Umweltbelastungen etwa) hineingenommen werden und Subventionen der öffentlichen Hände sollten Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen. Wir tragen an einer Kultur mit, die sich in hohem Maße auf Zerstörungsprozesse gründet. Fundament unserer Industrie- und Konsumkultur sind Verbrennungsprozesse. Der Preis unseres Wohlstands ist krasse soziale Ungleichheit. Das Recht wird missbraucht, die Ungleichheit zu erhalten. Der Charakter des modernen Konsums ist besinnungsloser Verschleiß. Verschleiß und Raubbau – an unserer Naturgrundlage, am Menschen selbst. Sind wir nicht gerne sozial, ökölogisch, lieben wir nicht die Gerechtigkeit? Und weiter: wie greift nun diese Gesinnung tatsächlich ins Leben ein? Wir wirken mit an einer Vielzahl von Verhältnissen, auch durch Unterlassung. Eine Übersicht können wir gewinnen, wenn wir uns folgende Fragen stellen: * Für wen arbeiten wir? * Wem geben wir unser Geld? * Womit verbringen wir unsere Zeit? Man spürt die Ohnmacht, wenn man sich den Verhältnissen mit Bewußtsein aussetzt. Nicht wenige haben darüber den Verstand verloren. Dieses Bewusstsein muss weh tun. Es soll uns mit schmerzhafter Vehemenz hinführen zu der Frage: wie läßt sich die vorherrschende Dynamik umkehren? Wie tragen wir den Aufbau hinein in die Zerstörung? Ohne daß wir in irgendeiner Weise an dieser Frage leiden, werden wir nicht ins Handeln kommen. Wir sind Teil des Problems! Wir können die Ansprüche aus unserer Gesinnung im Alltäglichen nicht erfüllen. Wir sind sozial inkonsequent. Als Begründung sind wir gewohnt zu verweisen auf die Verhältnisse, die uns zwingen, so oder so zu handeln. Eine zentrale Rolle kommt der Landwirtschaft zu. Landwirtschaft kann man nicht nur so betreiben, dass man durch den sensiblen Umgang mit Boden, Tieren und Landschaft aufbauend, belebend wirkt, sondern auch durch die soziale Struktur, die sich um diese Prozesse bildet. Denn so, wie die aufmerksame ökologische Bewirtschaftung zum Boden und zur Landschaft gehört, gehört die Bildung von gemeinschaftlicher Verantwortung ins soziale Gewebe, das die Landwirtschaft umgibt. Aus dem ersten entstehen Nahrungsmittel, die den Menschen gesunden, aus dem zweiten entstehen Kräfte, die heilend in der Gesellschaft wirken. Die Tierhaltung ist durchaus ein ernsthafter CO2-Sünder - nur kommt es eben nicht auf weniger, sondern auf schlauere Landwirtschaft an! Für die CO2-Bilanz ist es extrem wichtig, auf welche Weise und wie weit unsere Nahrung transportiert wird. Und aus dem anfallenden Methan kann Biogas generiert werden. In den Industrieländern ist es im Interesse des Klimas effizienter, den Energieverbrauch der Transportwirtschaft zu reduzieren. Bisher denken wir bei "Konsum" ausschließlich an "Verbrauch". Und Verbraucherpolitik belohnt Verbrauch. Dieses Verständnis greift viel zu kurz. Täglich hageln 2.500 Werbebotschaften auf den Bürger, auch wenn er das gar nicht will, und dafür werden rund tausend Euro pro Kopf und Jahr ausgegeben, die natürlich letzten Endes die Verbraucher zahlen. Ohne eine Regulierung dieses Bereichs werden sich nicht die gewünschten nachhaltigen Lebensstile herbeizaubern lassen. Man möge sich bitte klar machen, dass der Drang zur persönlichen Bereicherung eine der wesentlichen Triebfedern in der unheilvollen Dynamik des heutigen Wirtschaftslebens ist. Aber die Aufgabe der Wirtschaft ist eine gemeinnützige! Dahin führt uns organisch eine Vereinigung der Interessen von Erzeugern und Verbrauchern. Beachtet man dies nicht, so führt es dazu, dass beide Seiten bestrebt sind, sich gegenseitig auszunutzen. Und wenn kein Nutzen mehr aus der Sache herauszuziehen ist, hört die Beziehung einfach auf. Das führt im Ernstfall zum wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die Wirtschaft wie sie heute ist, wird einfach aufhören uns zu versorgen, wenn sie keinen Nutzen mehr aus uns ziehen kann! Sehen Sie aus dem Fenster: diese Dinge kommen auf uns zu! Denken Sie an das Gesundheitssystem: eine Kasse aufzubauen, bei der nicht die Maßnahme, sondern der Fortschritt zur Gesundung vergütet wird, ist unter den heutigen Gegebenheiten sogar unmöglich. Es geht also nicht um Wohltätigkeit, mit der wir nach Feierabend unser erfrorenes Gewissen anwärmen, sondern dass wir unser Geld, unsere Arbeit, unsere Zeit in eine nachhaltige Wirtschaft geben. Auf die Landwirtschaft bezogen heißt das: wir leiten das Geld, das wir fürs Essen ausgeben und die Zeit, die wir fürs Einkaufen verwenden, in sinnvolle Zusammenhänge um. Verschiedene Beispiele, z.B. “Farmer John”, zeigen, dass auf diesem Wege ein gesundes, tragfähiges Wirtschaftsleben entsteht. Oberste Priorität hat das LEBEN, die Erzeugung von Lebensmitteln für ALLE Menschen auf diesem Globus. So wird die traditionelle Landwirtschaft eine Renaissance erleben. Umwelthandeln ist simpel, zeigt ein aktuelles britisches Experiment mit 100 repräsentativ ausgewählten Haushalten. Bisher glaubte man immer, dass der ökologische Lebensstil ein Nischenthema für die Mittelklasse ist. Doch über 80% der Haushalte unternahmen etwas, um Energie zu sparen. Am aktivsten wurden diejenigen mit niedrigem Einkommen. Das zeigt, wie massentauglich die Angelegenheit ist. "Dachten die meisten zu Projektsbeginn, sie würden mit dem Geld wahrscheinlich umweltfreundliche Produkte kaufen, ihr Verhalten jedoch nicht ändern, so zeigten sie am Ende ganz deutliche Verhaltensänderungen. Diese waren viel leichter, als sie anfangs geglaubt hatten", schreiben die Studienautoren. Das Bild des Öko-Konsumenten ist überholt. Mehr bei http://www.taz.de/digitaz/2010/03/19/a0151.nf/text http://www.taz.de/digitaz/2010/03/19/a0025.nf/text http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2010/03/12/a0060 http://www.streifzuege.org/2010/in-der-landwirtschaft-anfangen http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32216/1.html http://pte.at/news/100326032 http://www.eu-umweltbuero.at/cgi-bin/newsletter/eunews.pl?aktion=framebau&newsid=2356&nummer=11/2010&zg=13