Oktober 2009 Umweltbrief.org Wohlstand für alle ist unmöglich ________________________________ Mit der Krise häufen sich zum großen Teil berechtigte Kritiken am System und der auf Wachstumsglauben gegründeten Wirtschaft, die meist gekoppelt sind mit Forderungen für Ressourcengerechtigkeit und eine gerechtere Umverteilung für alle Erdbewohner. Alle sollen "menschenwürdig" leben, der "Wohlstand" für alle wird gefordert. Doch würden alle Erdbewohner auf dem Konsumniveau der USA leben, bräuchten wir vier (!) Planeten dieser Art, um nur die Ressourcen dafür zu decken. Europa steht nicht viel besser da. Legen wir nun mal zugrunde, dass man mit zwei Personen eine 2 Zimmerwohnung mit höchstens 18 Grad Beheizung bewohnt, keinen Computer, kein Handy und kein Auto hat, nur öffentliche Verkehrsmittel benutzt, keine Flugreisen macht, keinem Konsum- oder Mode-Trend hinterher läuft und nur Öko- und Bioware kauft - also weit unterdurchschnittlich konsumiert. Wenn wir diesen Standard auf sieben Milliarden Menschen (Tendenz stetig ansteigend) hochrechnen, merken wir schnell, dass der Planet dafür nicht genug Ressourcen hat, schon gar nicht bei der üblichen, grottenschlechten und immer noch total vernachlässigten Ressourcen-Effizienz der Industrieländer. Der Raubbau an der Erde nimmt immer dramatischere Formen an und ist so groß wie nie zuvor. Zu diesem Ergebnis kommt der letzte „Living Planet Report 2008“ des WWF. Wenn der Verbrauch an natürlichen Ressourcen weitergeht wie bisher, würden bis zum Jahr 2035 zwei volle Planeten benötigt, um den Bedarf an Nahrung, Energie und Fläche zu decken. Das ist im Vergleich zum letzten Report eine Beschleunigung um 15 Jahre. Der Report 2006 hatte dafür noch mit einem Zeitraum bis zum Jahr 2050 gerechnet. Hauptverantwortlich dafür sind vor allem steigender Ressourcenverbrauch, Entwaldung, der vom Menschen verursachte Klimawandel, Umweltverschmutzung und Überfischung. Als Folge werden Ökosysteme zerstört, Arten ausgerottet und Wasserreserven verknappt. Darüber hinaus ergeben sich nach einer Studie des International Food Policy Research Institute (IFPRI) verheerende ökonomische Konsequenzen, weil Schäden durch Naturkatastrophen zunehmen und Preise für Nahrungsmittel und Rohstoffe explodieren werden. Eine höhere Kaufkraft zur Stärkung der Nachfrage und zur Fortsetzung des Wirtschaftswachstums als Bedingungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen müssen also sehr kritisch beurteilt werden, da sie die Klima- und Ressourcenprobleme noch verschärfen. Solange wir es nur mit zwei Milliarden Erdbevölkerung zu tun hatten, mag eine gerechte Umverteilung theoretisch möglich gewesen sein (wenn Gerechtigkeit denn zu den menschlichen Tugenden gehört). Doch wir werden immer mehr! Wenn China, Indien, Südamerika, Afrika und Polynesien auf unser mittelständisches Konsumlevel gehoben werden sollen, geht das hoffnungslos überfüllte Rettungsboot schon sehr bald unter, wobei dann zwangsläufig alle umkommen müssen. Dann käme auch der Ressourcen- und Klimakollaps weit schneller als angenommen. Es dürfen also nicht alle den uns gewohnten Wohlstand erreichen; es können nicht alle so "reich" sein, es könnten nur alle gleich arm sein, wie es auch in Europa vor 150 Jahren noch der Fall war - mit Ausnahme einer winzigen Oberschicht von ca. ein Prozent der Bevölkerung, die prassen konnte. Heute gehören wir in den Industriestaaten alle zu den Prassern; jeder Durchschnittsbürger konsumiert mehr Ressourcen als selbst Ludwig XIV in der Lage gewesen war - und der ökologische Fußabdruck ist heute deutlich schlechter. 20% der Erdbevölkerung verbrauchen 80% der Ressourcen, d.h. unser täglicher Wohlstand wird nur durch die Armut der anderen ermöglicht. Sind wir wirklich bereit, das zu ändern, also nur noch mit 20% und bei steigender Erdbevölkerung mit entsprechend immer weniger auszukommen? Die Zuwachsraten der alten Industrienationen sinken seit Jahrzehnten; der fossile Brennstoff des Wachstums wird rar; eine Welt nach dem Modell westlichen Wohlstands ist undenkbar. Die Klimakatastrophe wird allein durch effizientere Technik und erneuerbare Energien kaum zu vermeiden sein. Langsam sickert die unerfreuliche Erkenntnis durch: Die Wachstumsperiode der letzten zwei Jahrhunderte war eine welthistorische Ausnahme. Bei Fortführung der herkömmlichen Nutzungsmuster ist eine Lösung nicht denkbar. Vielmehr bedarf es eines neuen Umgangs mit Ressourcen, der gekennzeichnet ist von Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft und einer Substitution fossiler durch erneuerbare Rohstoffe. Bei immer knapper werdenden Ressourcen werden die Verteilungskämpfe härter, während es inzwischen nicht mehr als gigantische Schulden zu verteilen gibt. Schon bald werden wir sehen, dass mit stetigem Bevölkerungswachtum auch der "Wert" des einzelnen Menschen drastisch sinken wird. Das liegt daran, dass wir einfach zu viele werden (längst sind), die in "Wohlstand" leben wollen. Schon bald werden wir 10 Milliarden Menschen sein. Nicht umsonst ist es seit langem gängige politische Praxis, Afrika einfach verhungern, verdursten oder an Krankheiten verrecken zu lassen. Dabei könnte man mehr als sieben Mal alle Hungernden der Erde sättigen, würde man die Nahrungsmittel, die in Europa und in den USA weggeworfen werden, nur einfach verteilen. Der Grund ist, dass besonders arme Regionen keinen Markt haben, den es zu bedienen lohnt. Auch die Marktdominanz der Industrieländer und Aktionen wie Kredite und die sogenannte "Entwicklungshilfe" führen meist dazu, dass die armen Länder ihre eigene Wirtschaft nicht selbst entwickeln können und abhängig bleiben. Auch Geld ist nur so lange etwas wert, wie es ungleich verteilt ist. Wenn alle gleich viel Geld hätten, entstünde schnell eine Hyper-Inflation. Aus Sicht des Planeten, der ja auch ein Lebewesen ist, ist eine solche stetig anwachsende Unzahl an gierigen und Raubbau treibenden Menschen bestimmt nicht gewünscht bzw. noch "tragbar". Der Planet muss (und wird) entsprechend reagieren. So wird die Erdbevölkerung bis Ende des Jahrhunderts womöglich einen Rückgang von bis zu 50% erleben. Gerechtigkeit ist eine Kulturleistung: In diesem Zusammenhang müsste sie bedeuten, dass wir entweder als Menschheit kollektiv in "lebenswertem Wohlstand" schnell untergehen oder alle zusammen noch weit unter dem Sozialhilfe-Standard weiterleben. Was ist wichtiger - der gleiche Wohlstand der zu Vielen oder das Überleben der Spezies Mensch an sich? Vielleicht aber gehört es auch zum "Programm", dass einige sterben müssen, damit andere leben können. Wer wird das wohl sein? Die mit dem besseren Know how und anderen Evolutionsvorteilen oder gar die Naturvölker? Viel dringender ist jetzt jedoch, den Planeten und sein Klima bei Laune zu halten! Dies ist kein angenehmes Thema, es entbehrt der (christlichen) Ethik und wird von Gutmenschen nicht mal angedacht. Wenn Sie jetzt "moralisch" entrüstet sind, fragen Sie sich am besten selbst, ob Sie um der Ethik und der sozialen Gerechtigkeit willen bereit sind, sich dauerhaft auf den Lebensstandart eines chinesischen Reisbauern zu begeben. Sind Sie bereit, künftg auf Gasheizung, LCD-TV, Computer, Handy, Auto, Navi, Digi-Cam, Urlaub, Mode, Shopping etc. zu verzichten, nur weil man sich anderenorts gedankenlos vermehrt? Die meisten schaffen es ja nicht mal, Ökostrom zu kaufen, obwohl sie seit langem strikt gegen Atomkraft sind! Wenn Menschen, die zu den 20% gehören, welche stets 80% der vorhandenen Ressourcen verbrauchen, die restlichen 80% der Erdbevölkerung aus sozial-ethischen Gründen auf europäisches Konsumniveau heben wollen, dann sind sie nicht nur scheinheilig, sondern auch dumm. Es ist immer noch der mittelalterliche (christliche?) Missionarseifer, sich erst die Erde rücksichtslos untertan zu machen und dann den Rest der Welt an sein System anzupassen. Der als sozial getarnte Neo-Kolonialismus der Wirtschaftsmächte - jetzt Globalisierung genannt - bringt keine echte Hilfe, er führt nur zur Abhängigkeit durch Überschuldung von Ländern und zu der uns bereits bekannten konsumtiven Entfremdung, damit nun auch bei Naturvölkern Ersatzbefriedigungen abgefragt werden können - mit den dann folgenden Umweltzerstörungen. Wer die Lebensgrundlagen weltweit sichern will, der muss eine Ökonomie und Kultur des "Genug" anstreben und sich vom parasitären Charakter unseres Scheinwohlstands verabschieden. China war einst das Königreich der Fahrräder - doch das Auto lässt den gesunden Habitus des Fahrradfahrens aussterben. Noch vor 20 Jahren wollten Chinesen kein Auto besitzen, weil sie das Auto (Lkw) mit Arbeit assoziierten. Sie waren glücklich mit ihrem alten Fahrrad. Nun soll die Globalisierung das Auto für jede(n) bringen - welch ein Alptraum! Wir dürfen nicht auch noch der Dritten Welt und allen Schwellenländern den konsumdiktierten westlichen Lebensstil der Verschwendung aufzwingen, den wir zu Unrecht "Wohlstand" nennen, wir sollten vielmehr von den Armen lernen, dass viel weniger auch viel mehr sein kann. Eine hohe Lebensqualität ist nicht mit hohem Konsum verbunden. Angesichts der Diskussion über die Armut gilt es zu berücksichtigen, dass es verschiedene Formen der Armut gibt: Geistige Armut, wirtschaftliche Armt, seelische Armut. >>> In Polynesien ist die Lebensqualität schon dadurch höher als unserer, weil die Bewohner ihren Lebensunterhalt im Urwald mit nur zehn Stunden Arbeit pro Woche decken können. Sie SIND glücklich, weil niemand um die Ecke kommt und sagt: "Kauf dies, dann WIRST du glücklich!" Wer jemals in armen Gegenden gewesen ist, hat lernen können, dass Glück in Wirklichkeit nicht aus Urlaub, Handys, Schuhen, immer größeren Autos, Banken und Versicherungen besteht, sondern aus Bescheidenheit, Genügsamkeit, ausgeprägtem Sinn für Natur (und Nachhaltigkeit), Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl sowie relativ wenig Arbeit und dafür umso mehr Muße und echter Zufriedenheit mit dem Dasein. Daraus könnten auch wir lernen, denn womöglich gehören wir schneller zu den Armen als wir uns heute vorstellen können, z.B. wenn wir vergessen haben, was Regionalwirtschaft bedeutet oder die Energiewende nicht rechtzeitig gelingt... Leben als Konsum ________________ »Ich konsumiere, also bin ich ...« - so fasst Zygmunt Bauman den Wandel unserer Gesellschaft zusammen, die sich von einer Gesellschaft der Produzenten in eine Gesellschaft der Konsumenten transformiert. In dieser neuen Verbrauchergesellschaft werden die Individuen selbst zur Ware, sie müssen sich auf dem Markt als Konsumgut bewerben und verkaufen. Sie sind zugleich Konsument, aber auch Handelsartikel und Vermarkter, Ware und Verkäufer. Der Wandel beruht auf der Verschiebung der Dominanz von der Produktion zur Konsumtion und einer daraus folgenden Neudefinition der Menschen. Mit dem Schwinden der moralischen Integration in Gruppen und Familien mindert sich auch die Bereitschaft, im Kleinen Verantwortung für andere zu übernehmen und im Großen einen Sozialstaat einzufordern. Und die Armen erscheinen nicht mehr als (potentielle) Arbeitskräfte oder Objekte des Sozialstaates, sondern als gescheiterte Verbraucher, als nicht brauchbare Güter. Mehr bei http://www.his-online.de/verlag/programm/detailseite/publikationen/details/leben-als-konsum.html