November 2002 Umweltbrief.org Der Erhalt von Ökosystemen zahlt sich aus _________________________________________ Von Florian Rötzer Nach einer wissenschaftlichen Studie ist die Nutzbarmachung von Ökosystemen meist ein Verlustgeschäft - zumindest für die Allgemeinheit. Die Theorie des wirtschaftlichen Liberalismus geht davon aus, dass aus dem Verfolgen der individuellen Interessen eine Selbststeuerung des Marktes folge, was der gesamten Gesellschaft letztlich zugute käme. Doch oft genug widersprechen sich individuelle Interessen und langfristige Erfordernisse, zumal wenn es um die Belange aller Menschen und die der künftigen Generationen geht. Der Liberalismus versagt, wenn es um nicht wiederherstellbare Ressourcen geht. Wissenschaftler haben jetzt ausgerechnet, dass die Erhaltung der noch bestehenden natürlichen Ökosysteme auch sehr profitabler ist, als der Vernichtung durch landwirtschaftliche oder anderweitige Nutzung. Schnell werden zugunsten kurzfristiger Gewinne die natürlichen Ressourcen verbraucht. Schon weite Teile des Meeres sind überfischt, die Verwüstung des Bodens und das Verschwinden der Wälder schreitet voran. Britische und amerikanische Wissenschaftler haben für ihre Untersuchung "Economic Reasons for Conserving Wild Nature", die in der aktuellen Ausgabe von Science veröffentlicht wurde, 300 Fallstudien über die aus der menschlichen Nutzung folgende Umwandlung natürlicher Gebiete analysiert. Fünf dieser Studien über die Abholzung eines Waldes in Malaysia, die Umwandlung eines Waldes in Kamerun als landwirtschaftliche Fläche für Kleinbauern und Plantagenbesitzer, die Trockenlegung eines Sumpfgebietes in Kanada zur landwirtschaftlichen Nutzung, die Sprengung eines Korallenriffs auf den Philippinen, um besser fischen zu können, und die Zerstörung eines Mangrovensumpfs in Thailand, um dort Krebse zu züchten. In allen Fällen zeigte sich, dass der Wert des natürlichen Ökosystems höher liegt als die aus der menschlichen Nutzung erwirtschafteten Gewinne. Doch hier eben liegen langfristige Interessen der Gemeinschaft im Widerspruch mit den kurzfristigen Gewinninteressen von Einzelnen, auch wenn die oft genug möglicherweise aus falschen Gründen der Wirtschaftsförderung von den Staaten unterstützt werden, um Natur- in Kulturland zu verwandeln. Zudem wird wohl kaum eine Einigung darüber zu erzielen sein, welchen monetären Wert man den "Produkten und Diensten" von Ökosystemen bemisst. Ein Kosten-Nutzen von Verhältnis von 1:100 spräche für die Erhaltung der natürlichen Ökosysteme. Die natürlichen Ökosysteme dienen beispielsweise dem Schutz vor Fluten oder Überschwemmungen, der Jagd oder dem Tourismus, sie bauen Kohlendioxid ab oder haben Auswirkungen auf die Bildung von Böden. Muss eine Küste etwa vor Überflutung geschützt werden, so ist das eine teure Angelegenheit. Bei den fünf untersuchten Gebieten habe der ökonomische Verlust der nicht vermarkteten Ressourcen der natürlichen Ökosysteme die vermarkteten Gewinne, die durch die Konversion erzielt wurden, um ein beträchtliches Maß überstiegen. So wäre der Wald in Malaysia 14 Prozent mehr Wert gewesen, wenn er stehen geblieben wäre. Oder das kanadische Sumpfgebiet hätte 60 Prozent mehr eingebracht, wenn es weiter für die Jagd oder für das Fischen zur Verfügung gestanden hätte. Die Wissenschaftler kamen aufgrund ihrer natürlich angreifbaren Berechnungen zu dem Schluss, dass die jedes Jahr für die menschliche Nutzung erschlossenen natürlichen Ökosysteme jährlich 250 Milliarden Dollar Kosten verursachen. Würde man hingegen jährlich 45 Milliarden zum Schutz und zur Erweiterung bedrohter Ökosysteme wie Wälder, Sümpfe oder Korallenriffe ausgeben, so würden die Menschen auf der ganzen Welt davon einen Nutzen in Form von Gütern und Diensten in Höhe von 44-52 Billionen ziehen können. Das entspricht einem erstaunlichen Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1:100, was eigentlich jedem wirtschaftlich Denkenden äußerst attraktiv erscheinen müsste. Allerdings sagen die Wissenschaftler, dass es insgesamt zu wenige Daten über die Konversion der unterschiedlichen Ökosysteme gibt. Auch bei den von ihnen analysierten Ökosystemen habe man den Nährstoffkreislauf, die Abfallverwertung oder das Angebot von kulturellen Werten nicht berücksichtigt. Robert Costanza, Direktor des Gund Institute for Ecological Economics der University of Vermont und einer der Autoren, erläutert denn auch das Problem: "Die Umwandlung von Ökosystemen nutzt normalerweise nur einigen wenigen Privatpersonen. Wenn man die wilde Natur wild lässt, dann erzeugt dies einen Nutzen in der Form von Ökosystem-Services, aber diese sind öffentliche, keine privaten Güter. Sie dienen der ganzen Gesellschaft und werden nicht vom mangelhaften Markt erfasst." Constanza fordert den Aufbau eines kompensatorischen Systems, das natürliche Ressourcen bewertet und entsprechende Abgaben bei einer Nutzung erhebt. Vor allem aber müssten zunächst die staatlichen Förderungen für Aktivitäten eingestellt werden, die die Umwelt zerstören, ohne wirklich einen wirtschaftlichen Sinn zu machen. Diese Gelder würden ausreichen, um das globale Netzwerk an noch bestehenden Ökosystemen zu erhalten. Ohne einen globalen Souverän, der in der Lage wäre, die Marktbedingungen festzulegen, wird dies aber kaum möglich sein, da die Konkurrenz der Standorte die kurzfristigen partikularen Interessen bedient. Ob allerdings eine Art Weltregierung der ganzen Menschheit besser dienen würde, sei dahingestellt. Und ob irgendwelche Billionen Dollar, die abstrakte Gewinne bleiben und niemandem auf dem Bankkonto gutgeschrieben werden, wirklich mehr überzeugen als nicht-monetäre Argumente des Umweltschutzes, darf wohl auch bezweifelt werden, zumindest solange, als die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen nicht hartes Geld kostet. Was den Kreis nur wieder schließt. >>>Auf der Klimakonferenz in Neu Delhi über die Umsetzung des Kyoto-Protokolls hat Klaus Töpfer für seine UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) eine Studie vorgestellt, wonach Naturkatastrophen in den nächsten Jahren jährlich etwa 150 Milliarden Dollar Schaden verursachen werden. Die Ökologie wird die intelligentere Ökonomie _____________________________________________ Der US-amerikanische Biologe Edward O. Wilson geht davon aus, dass wir zurzeit täglich 150 Tier- und Pflanzenarten ausrotten. Das heißt: Bis 2003 werden ein Drittel und bis 2100 etwa die Hälfte aller Arten ausgerottet sein. Diese Zahlen nennt Wilson in seinem neuen Buch: "Die Zukunft des Lebens". Wilson vermittelt aber auch Hoffnung. Er setzt auf die Chance der Krise und erwartet die Umkehr von einer ökologischen Ethik und von einer ökonomischen Vernunft. 1997 haben die Menschen weltweit ökonomische Werte von etwa 18 Billionen (18.000 Milliarden) US-Dollar geschaffen, aber die "Dienstleistungen der Biosphäre" hätten 33 Billionen US-Dollar betragen. Naturzerstörung, so schließt Wilson, ist also langfristig ein schlechtes Geschäft. Er hofft auf eine ökologische Ökonomie und auf Öko-Kapitalismus. Ob sich Wilsons apokalyptische Prognosen am Ende selbst zerstören, weil sich der homo sapiens seiner Vernunft bedient, ist umstritten. Doch wie immer, so ist Edward O. Wilson auch mit seinem neuen Buch ein großer Anreger und Provokateur der ökologischen Wendezeit. Er prophezeit, dass die Ökologie die intelligentere Ökonomie werden wird. Seinen Kritikern fehlt im Wesentlichen Zukunftsfantasie. http://www.sonnenseite.com/fp/archiv/Akt-News/zukunftdeslebens.shtml