Februar 2010 Umweltbrief.org Privatisierung der Macht - Wer die Fäden zieht ______________________________________________ Oberhalb der ganz gewöhnlichen Gier-Gesellschaft gibt es noch eine Region, die seit jeher die Frau und den Mann auf der Straße und auch Religionsstifter, Philosophen und sogar Ökonomen und Soziologen fasziniert hat. Der Wall Street Journalist Robert Frank nennt diese Region "Richistan" und beschreibt sie ausführlich und amüsant in seinem gleichnamigen Buch. Es ist das Land der Superreichen, vollkommen abgehoben, in einem den ganzen Erdball umspannenden nichteuklidischen Raum schwebend. Die Bewohner des Landes Richistan sind so reich, so superreich, dass unser Planet schon zerplatzen müsste, damit auch sie durch irgendeine Krise ernsthaft gefährdet würden oder gar abstürzten. Die Grenzen von Richistan sind fließend. Und es geht kaum noch um Einkommen, sondern vor allem um Vermögen. In harten Zahlen liegt die Grenze zwischen reich und superreich bei rund 500 Millionen Dollar frei verfügbarem Vermögen (also abzüglich der selbst genutzten Immobilien, der zum Lebensstil gehörenden langlebigen Güter wie Autos, Yachten usw.). Das bedeutet, dass im Kernland von Richistan weltweit rund 10 bis 20 Tausend Superreiche leben. Unter ihnen sind – die Schätzungen gehen weit auseinander – rund 3000 Milliardäre. Einige kleine Millionäre drängen selbstverständlich auch ins Land Richistan, ins Land der Superreichen. Doch die meisten werden an den Grenzen abgewiesen. Diejenigen, die eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, müssen dann oft gehobene Dienstleistungen für die Superreichen erbringen. Wir kennen sie als Spitzenkräfte des Investmentbanking, als Topmanager der Industrie, als Medienmogule usw. – und sogar einige Spitzenärzte, Unterhaltungsstars, Politiker schaffen es, durch die Mauer zu schlüpfen. In "Richistan" gibt es Familien mit über Generationen vererbten (und zum Teil gut versteckten) riesigen Vermögen. Da gibt es neureiche Entrepreneurs und Erfinder aus dem Milieu der neuen Technologien, der Finanzindustrie oder der Massenvermarktung. Und dann die durch korrupte Privatisierungspraktiken aufgestiegenen Oligarchen, Mafia-Milliardäre wie Berlusconi usw. Vereint aber sind sie durch das gemeinsame Bedürfnis, ihre zentrale und weitgehend abgedunkelte Stellung in praktisch allen Gesellschaften, also quasi ihre planetarische Stellung zu verteidigen. Und, wie der Name schon sagt, ihren Superreichtum unbegrenzt zu vermehren, vor Umverteilung zu schützen, als das Selbstverständlichste und zugleich Unangreifbarste von der Welt erscheinen zu lassen. Solche Absichten können in unserer komplexen Welt nur mithilfe eines umfangreichen "Dienstpersonals" befriedigt werden. Und hier kommen unsere Eliten ins Spiel. Sind sie arriviert, so haben sie, wie gesagt, eine Arbeitserlaubnis in Richistan. Und für Nachwuchs wird gesorgt durch all diese Ausleseverfahren des Ranking, des Evaluierens gerade auch in den Bildungssystemen. Diese immer perfekteren Selektionsmechanismen dienen dazu, die Besten und Klügsten für Ausbau und Sicherung der "Infrastruktur" von Richistan zu rekrutieren. Auch im Politik-Establishment gibt es entsprechende Positionen, und in den großen Rechtsanwaltskanzleien, in der Wissenschaft, den Medien, der Kultur. Und diese Elitepositionen werfen umso höhere Einkommen und Boni ab, je mehr sie dem Erhalt eines Systems dienen, das immer mehr Beobachter ein plutokratisches System nennen. Funktionseliten sind unentbehrlich für das Weiterbestehen des Superreichtums. Und es wird – zum Beispiel über Förderungseinrichtungen, Stiftungen, Privatisierung des Bildungswesens usw. – alles getan, um diese Funktionalität zu optimieren. Insofern kann man von einem Machtkomplex oder Machterhaltungskomplex sprechen. Im Zentrum dieses Komplexes finden wir den Superreichtum, also die Geldelite oder den Geldadel, der oft sogar ziemlich ahnungs-, funktions- und orientierungslos dahinluxuriert. Für die richtigen Ahnungen, Funktionen und Orientierungen aber steht ein Kranz von Funktionseliten bereit. Konzern- und Finanzeliten, kümmern sich um die Vermehrung des Reichtums. Politische Eliten sorgen für eine Verteilung des Reichtums von unten nach oben unter tunlichster Wahrung des gesellschaftlichen Konsens. Verwaltungs-, Wohlfühl- und Wissenseliten halten diese Gesellschaft des goldenen Kalbs, ihre Infrastruktur, ihre Kultur und Wissenschaft insgesamt am Laufen. Die Autorität dieses traditionellen Establishments, schreibt David Brooks in der New York Times, "basiert auf keinem irgendwie gearteten System der checks und balances, sondern auf der Weisheit und der öffentlichen Verantwortung derjenigen, die jetzt das Sagen haben." Und wenn nunmehr zwecks Überwindung der Krise eine Wirtschaftspolitik in Gang kommt, die auf grüne Technologien, Gesundheitsreform, Infrastrukturausbau, Bildungsreform und Forschung setzt, so sei das, fährt Brooks fort, dennoch "keine Ära, in welcher die Regierung die Mächtigen zugunsten des Volks in die Schranken weist. Nein, dies ist eine Ära des aus Erfahrung klug gewordenen Establishments, in welcher die Regierungsaktivitäten dazu dienen, einen stabilen – und oft oligarchischen – Rahmen für das kapitalistische Projekt bereitzustellen." Dazu sagt Daniel Goeudevert, einst Vorstandsmitglied der Volkswagen AG: "Wenn wir es schaffen, Moral und Ethik in unser wirtschaftliches Handeln mit einzubeziehen, werden wir noch größeren Erfolg haben. Zu deutsch: mehr Geld verdienen." Wenn ein Superreicher überhaupt über Politik nachdenken und nicht einfach seine Macher machen lassen will, so kauft er sich eben ein paar Philosophen, Wissenschaftler, Institute und lässt nachdenken. Das amerikanische Power Structure Research hat für die USA die entscheidenden Gesetzgebungsverfahren untersucht und gezeigt, wie Superreiche und Konzerne durch Fördermittel, Forschungsaufträge, Personal die wichtigsten Universitäten, Stiftungen und Denkfabriken in der Hand haben. Und von diesen Institutionen her wird "die Wirklichkeit definiert", werden Handlungsmöglichkeiten eingegrenzt und das politische Weltbild bestimmt. Wem die öffentlichen Forschungsmittel entzogen werden, dessen Rückgrat beugt sich allmählich, denn um sogenannte Drittmittel zu ergattern, muss man kriechen lernen. Die Expertisen landen dann bei den Parteien, in Ausschüssen. Geld plätschert in die Wahlkassen der Politiker und in die offenen Hände der Meinungsmacher. So ist relativ sichergestellt, dass nur Regelungen und Gesetze der ursprünglichen 'Auftraggeber' realisiert werden, wie sich leicht am Umgang mit der Finanzkrise, mit der Gesundheitskrise und der Ökokrise ablesen lässt. Mehr bei http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31762/1.html