Dezember 2008 Umweltbrief.org Die Utopie der Entschleunigung ______________________________ Wachsende Mobilität und zunehmender Ressourcenverbrauch sind wesentliche Merkmale des fossilen Kapitalismus. Doch der stösst allmählich an Grenzen. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert befasst sich der deutsche Autor Winfried Wolf mit dem Thema Verkehr in all seinen Facetten. Verkehr und Geschwindigkeit führen zu einem Verlust an Bodenhaftung - und zwar in umfassenden Sinn. Denn mit dem Tempowahn zerstören wir Nähe, Klima und Zukunft. Die vier grossen Transportrevolutionen beginnen mit den ersten Kanalsystemen in Europa und Nord­Amerika und mit dem Aufkommen der Binnen- und Seeschifffahrt. Das ist auch die Geburtsstunde der Globalisierung. Die Entwicklung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert leitet eine neue Epoche ein - die des Übergangs von der Nutzung menschlicher und tierischer Kraft und derjenigen des Windes hin zur Kohle als Rohstoff für den Antrieb. Neokoloniale Autoindustrie: Der Aufstieg von Auto und Flugzeug zum Massenverkehrsmittel erfolgte weitgehend parallel zum Aufstieg der USA als führende Wirtschafts- und Militärmacht. Die Gruppe der 500 grössten Unternehmen der Welt wird durch Firmen der Öl-, Auto- und Flugzeugbranche dominiert. Die gegenwärtige Struktur der weltweiten Automotorisierung hat neokolonialen Charakter: «Von den 2005 weltweit registrierten 640 Millionen PKWs konzentrieren sich gut 70% auf die Regionen Nordamerika, Europa, Japan, Neuseeland und Australien, in denen nur 17% aller Menschen leben.» Und die Hälfte der weltweiten Verkehrsleistung im Flugverkehr entfällt allein auf den Binnenflugverkehr innerhalb der USA. China oder Indien als die Länder hinzustellen, die das Weltklima bedrohen, ist grotesk angesichts der Tatsache, dass deren Motorisierung dem westlichen Modell folgt und durch europäische, US-amerikanische und japanische Autokonzerne vorangetrieben wird. Die Allgemeinheit zahlt: Erst wenn dieser stofflichen Seite der Kapitalkonzentration Rechnung getragen wird, können die Grundlagen der tiefen ökologischen Krise und die drohenden zukünftigen ökonomischen und militärischen Erschütterungen des ‹fossilen Kapitalismus› verstanden werden. Die gewaltige Steigerung des Transports von Menschen und Gütern ist mit hohen Kosten verbunden, die nicht in den Transportpreisen enthalten sind. Dabei muss man unterscheiden zwischen den materiell bezifferbaren Kosten und den so genannten externen Kosten wie Umweltbelastung, Lärm, Gesundheitsschäden. Diese externen Kosten tragen nicht die VerursacherInnen; sie werden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Ebenso verheerend ist die Subventionierung von Verkehrsmitteln wie Auto und Flugzeug - durch deren Förderung werden Preise bewusst verfälscht und künstlich tief gehalten. Wolf: «Die vorherrschende Verkehrspolitik ist Krieg gegen die Menschen sowie Krieg gegen Natur und Klima.» Mehr zurückgelegte Kilometer seien nicht mit einer höheren Mobilität gleichzusetzen, ebenso wenig wie die ständig wachsende Zahl von Transportkilometern im Güterverkehr nicht zu einem Zuwachs an Wohlstand führe. So muss etwa eine radikal neue Verkehrs- und Raumordnungspolitik die Verkehrsvermeidung zum Ziel haben und damit auch den Verzicht auf Geschwindigkeit und neue Strassen. Wolf plädiert für autofreie Städte und mehr Fortbewegung aus eigener Kraft. Auf die Behauptung, ein solches Modell sei nicht realistisch, erwidert Wolf: «Völlig unrealistisch und irrational ist die Politik des ‹Weiter so›.» Mehr bei http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2008/nr44/Wissen/17058.html Siehe auch Verkehrssubventionen ohne umweltpolitischen Nutzen Doch die gute Nachricht dazu: Daimler produziert weniger S-Klasse-Autos. Mercedes S-Klasse-Wagen sind Autos, die größer sind, als man zur Fortbewegung braucht. Die mehr Sprit verbrennen als unbedingt nötig. Die schneller fahren können und wollen, als auf einem Gutteil deutscher Autobahnen erlaubt ist. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, über Arbeitsplätze zu sprechen. Auf die Arbeiter der Automobilindustrie kommen harte Zeiten zu; aber folgt daraus automatisch, dass all diese Leute darauf warten müssen, bis wieder mehr Menschen Kredite für S-Klasse- oder Volkswagen aufnehmen? Könnten diese Leute nicht ebenso gut etwas herstellen, das wir gesamtgesellschaftlich wirklich brauchen würden [z.B. im Sektor Umwelttechnologien], etwas, das nicht automatisch das Klima schädigte und weniger ein "Luxus" wäre als vielmehr wahre Lebensqualität? Kann man nicht Vorhandenes reparieren, alte Menschen pflegen, Schülern mehr Lehrer bieten? Wohin man schaut, es gibt doch wahrlich genug zu tun! Mehr bei http://www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2008/11/07/a0112