Umweltbrief.org Radioaktivität ______________ Ein Atomkern besteht grundsätzlich aus zwei Arten von Teilchen: positiv geladenen Protonen und elektrisch neutralen Neutronen. Der Atomkern wird von elektrisch negativ geladenen Elektronen umkreist. Die Anzahl von Protonen und Elektronen ist im Normalfall gleich, ihre Ladungen neutralisieren sich also gegenseitig. Hat ein Atomkern unterschiedliche Anzahlen von Protonen und Elektronen, spricht man von einem Ion. Dieses ist somit positiv oder negativ geladen. Die Atome eines bestimmten chemischen Elements zeichnen sich aus durch die gleiche Anzahl an Protonen. Die Anzahl der Protonen gibt damit die chemische Ordnungszahl des Elements an (vergl. Grafik 1). Atome mit der gleichen Anzahl an Protonen haben dieselben chemischen Eigenschaften. So wie jedoch die Anzahl der Elektronen schwanken kann und sich aus diesem Umstand Ionen bilden, so können Atome des selben Elements auch unterschiedlich viele Neutronen enthalten. Diese Atome bezeichnet man als Isotope des Elements. Jedes natürlich vorkommende Element hat verschiedene Isotope. Da die Protonen innerhalb des Atomkerns alle positiv geladen sind, stoßen sie sich gegenseitig ab. Der Kern insgesamt aber wird von den Anziehungskräften von Protonen und Neutronen zusammengehalten. Im Regelfall sind die Isotope "stabil". Sind die Anziehungs- und Abstoßungskräfte von Protonen und Neutronen eines Isotopes (aufgrund von Anzahl und Verhältnis der Teilchen) nicht im Gleichgewicht, nennt man dieses "instabil". Instabile Isotope zerfallen und erreichen auf diesem Wege einen stabilen Zustand. Beim Zerfall instabiler Isotope wird Energie in der Art von radioaktiven Teilchen oder radioaktiver Strahlung frei. Gibt ein Atom eines radioaktiven Elements Protonen ab, so wandelt es sich um in ein Atom eines anderen Elementes mit ebenso anderen physikalischen und chemischen Eigenschaften. So entsteht zum Beispiel aus radioaktivem Uran nach einer Reihe von Zerfällen das stabile Element Blei. Vor etwa einhundert Jahren entdeckte der französische Physiker Antoine Henri Becquerel in seinen Versuchen die radioaktiven Eigenschaften des Elements Uran. Wenige Jahre später führten Gerhard Carl Schmidt und Marie Curie unabhängig voneinander die Versuche Becquerels fort und stellten fest, dass Uran nicht das einzige Element mit dieser für jene Zeit vollständig neuen und kaum erforschten Eigenschaft ist. Heute ist bekannt, daß von den bisher bekannten etwa 2.770 Nukliden über 90% instabil sind. Selbst wenn die Mehrzahl dieser Nuklide generell nur unter Laborbedingungen entstehen, gibt es doch eine Vielzahl natürlich vorkommender radioaktiver Stoffe. Die Bekanntesten sind wohl das in der Radiocarbonmethode verwandte Kohlenstoff-14 (C-14) und Radon (Rn), das den größten Teil der natürlichen Radioaktivität ausmacht. Unter den natürlich vorkommenden _ Radionukliden unterscheidet man zwischen sogenannten "primordialen Nukliden", das heißt seit Anbeginn der Erde vorhandenen, und jenen, die durch kosmische Höhenstrahlung ständig produziert werden. Ursprung und Wesen der terrestrischen und kosmischen Strahlung werden unter anderem in Benes: "Radioaktive Kontamination der Biosphäre" näher erläutert (BENES 1981). Zu den primordialen Radionukliden zählen Kalium-40 (K-40), Uran-238 (U-238), Uran-235 (U-235) und Thorium-232 (Th-232), sowie die Zwischenglieder und Endprodukte ihrer Zerfallsreihen. Beispiele für durch kosmische Höhenstrahlung produzierte Radionuklide sind neben dem oben bereits erwähnten C-14: Tritium (H-3), Beryllium-7 (Be-7) und -10 (Be-10), Aluminium-26 (Al-26), und Silicium-32 (Si-32). Diese Nuklide lagern sich an Aerosole an und werden mit dem Regen aus der Luft gewaschen. So treffen sie auf die Land- und Wasserflächen. Radionuklide entstehen jedoch auch auf künstlichem Wege unter Laborbedingungen oder bei der zivilen oder militärischen Nutzung der Radioaktivität im "Kernbrennstoffkreislauf" (von der Uranförderung bis zur sogenannten "Entsorgung") und in Atombomben. Marine Ökosysteme Zum Verständnis der Auswirkungen radioaktiver Belastungen in den Ozeanen ist es von nicht zu vernachlässigender Bedeutung, zumindest Grundlagen der Stofftransporte unterhalb des Meeresspiegels zu verstehen. Aus diesen erklärt sich auch ein Grund für das bis heute unzureichende Wissen über die gesamten Wirkungszusammenhänge des Eintrags radioaktiv strahlender Partikel in das Meer. Aufgrund ihrer selbst für uns heute kaum begreifbaren Ausmaße werden die Meere bis in die Gegenwart als unerschöpfliche Entsorgungsflächen problematischer Abfälle betrachtet. Die Verteilung von Schadstoffen in den oberflächigen Strömungen scheint Nachweis genug, um mit ihnen die bis zur scheinbaren Unschädlichkeit stattfindende Verdünnung der Problemstoffe zu belegen. Dies gilt für ökologisch wie gesundheitlich bedenkliche Stoffe, unter anderem jene aus der zivilen wie militärischen Nutzung der Kernenergie. Je nach Wassertiefe und Entfernung von der Küste werden die Ozeane in verschiedene Lebensräume oder -zonen unterteilt: Die erste dieser Zonen ist das Kontinentalschelf (oder "neritische Zone"). Diese reicht je nach klimatischen oder geologischen Bedingungen etwa 200 - 250 Meter von der Meeresoberfläche in die Tiefe. Diese Zone ist die primäre Nahrungsquelle allen Lebens in den Ozeanen. Aufgrund der starken Sonnendurchflutung ist hier Photosynthese möglich. Selbst wenn der sichtbare Besatz an Pflanzen klein ist, wird bis in diese Tiefen so viel pflanzliches Material gebildet wie auf der gesamten Landmasse. Fast die gesamte Masse der pflanzlichen Organismen in den Meeren ist jedoch mikroskopisch klein ("Phytoplankton"). Man geht so zum Beispiel allein für die Nordsee von bis zu 100.000 Plankonalgen je Liter Wasser aus. Das Phytoplankton dient als Nahrungsquelle weiterer zumeist sehr kleiner Organismen (Länge zwischen 100 m - 20 mm), die dieses aus dem Meerwasser filtern. Größere Tiere, die dem sogenannten _ "Nekton" zugerechnet werden, ernähren sich wiederum von diesen Organismen. An der Spitze der Nahrungskette stehen die Fische und Wale, beziehungsweise der Mensch und andere, sich von ihnen ernährende Säugetiere und Vögel. (IOS 1977) An die neritische Zone schließt sich der hemipelagische Bereich an, der bis etwa 4.000 m in die Tiefe reicht. Dieser wird von unterschiedlichen Wissenschaftlern in weitere Zonen untergliedert. An ihren tiefsten Stellen können bestimmte Ozeane Tiefen von bis zu 11.000 m haben. In den unter der neritischen Zone lebende Organismen ernähren sich bis auf wenige (z.B. Chemosynthese betreibende Bakterien) Organismen alle Lebewesen zumindest teilweise von dem organischen Regen der höheren Meereszonen. Dieser Regen besteht vor allem aus Fäkalien und abgestorbenen Organismen. Der Materialfluß in den Meeren verläuft zu einem großen Teil in eine bestimmte Richtung: Von oben nach unten. Während die Klassifizierung und Kartierung terrestrischer Ökosysteme bereits weit fortgeschritten ist, befinden wir uns in unserem Wissen um die vielgestaltigen Wechselwirkungen und Zusammenhänge unterhalb der Oberfläche der Meere noch in einem sehr frühen Stadium. Vieles ist noch unbekannt. Sicher scheint nur eines: Die Artenvielfalt der Meere übersteigt die an Land um ein Vielfaches. Unterschiedliche Wassertemperaturen und Strömungsverhältnisse, Lichtintensität und chemische Zusammensetzung, der Druck und viele weitere Faktoren schufen abertausende von Nischen, in denen sich jeweils andere Pflanzen- und Tiergesellschaften bildeten. Hinzu kommen die zum Teil weiten Wanderwege vieler Organismen, die im Vergleich zu den oft anthropogen überformten Lebensräumen auf dem Festland noch kaum eingeschränkt sind. Tiere und Pflanzen haben sich den Verhältnissen der Meere auf unterschiedlichste Weisen angepaßt: Autark oder in Gesellschaften lebende Kleinstlebewesen bis hin zu den staatenbildenen Korallen, Quallen mit bis zu 50 Meter langen Nesselfäden, Weichtiere in bizarrsten Formen, Knochen-, Lungen- und Knorpelfische, Reptilien wie Wasserschlangen und Meeresschildkröten, zeitweise oder dauernd unter Wasser lebende Säugetiere und Seevögel, die die Meere vor allem als Futterquelle nutzen... . Allein die Vielzahl dieser Organismen macht allgemeingültige Aussagen über Wirkungszusammenhänge unterschiedlicher Schadstoffen in den Meeren nahezu unmöglich. Hinzu kommen die die Erforschung durch den Menschen, ein typisches Landlebewesen, erschwerenden Umweltverhältnisse und die außerordentliche Heterogenität der Lebensräume. Für manche Schadstoffe war der direkte schädigende Einfluß auf Meeresorganismen vergleichsweise einfach, was zu verschiedenen nationalen wie internationalen Einleitungsverboten führte (z.B. Dünnsäure, Verbot: 1989). Die Ergebnisse und Interpretationen zu den Wirkungen radiologischer Strahlung sind jedoch allein schon in ihren Auswirkungen auf den Menschen äußerst umstritten. Um so weiter sind wir von konkreten Aussagen über ihren Einfluß auf Meeresorganismen und -ökosysteme entfernt. Hinzu kommt, daß eine Vielzahl der Biotope von Meeren und Küsten bereits durch anthropogene Nutzungen in dramatischer Weise bedroht ist. Die Rote Liste der Biotoptypen in Deutschland klassifiziert nahezu alle Biotoptypen der offenen Meeresgebiete und Flachwasserzonen in Nord- und Ostsee als durch "qualitative Veränderungen" bedroht (Kategorie 3) bis stark bedroht (Kategorie 2). Vereinzelt finden sich auch die Einstufungen 1 (von vollständiger Vernichtung bedroht) und 0 (vernichtet). Diese bereits vorhandene und meßbare Gefährdung der marinen Ökosysteme nicht nur in Nord- und Ostsee ist nicht die Folge hoher Belastungen mit radioaktiver Strahlung. Sie geht aus von den mehr "traditionellen" Eingriffen des Menschen in die Meere: Überfischung, Einleitung von Nährstoffen und Chemikalien, Lärmemissionen von Schiffen und Bohrinseln und vielem Weiterem mehr. Dennoch haben diese Belastungen einen starken Einfluß auf die Wirkungen der über das natürliche Maß hinausgehenden Radionuklideinträge. Die vollständige oder teilweise Vernichtung von Biotopen bedeutet zwangsläufig eine Erhöhung biologischen Stresses und damit die Schwächung des Immunsystems sowohl einzelner Arten als auch diejenige der, wenn man so will, gesamten Ökosysteme. Eine für einen gesunden Menschen harmlose Grippe bedeutet für einen anderen, HIV-positiv-diagnostizierten, eine greifbare Gefahr des Todes. Radioaktive Belastung mariner Ökosysteme Allgemeingültige Aussagen zur Radioaktivität und ihrer Auswirkungen auf marine Ökosysteme lassen sich also nur unter Hinnahme grober Vereinfachungen machen. Daher ist eine systematische Einteilung in verschiedene Belastungsarten unumgänglich. Das Gesamtmaß der Strahlung in den Meeren läßt sich dabei auf unterschiedliche Weisen in Gruppen einteilen. Ich möchte im Folgenden auf zwei mögliche Formen dieser Einteilungen eingehen. Zunächst widme ich mein Augenmerk auf die unterschiedlichen Einleitungswege für Radionuklide in die Ozeane, um danach einige der bisher in den Meeren nachgewiesenen strahlenden Elemente und die Arten der Strahlung näher zu betrachten. Ursprung und Quelle der Strahlung Die in den Ozeanen meßbaren Stoffe können unterschieden werden in künstliche und natürliche Radionuklide. Diese Unterscheidung ist möglich, da es sich bei der künstlichen Radioaktivität größtenteils um die Ionen anderer Elemente als der unter natürlichen Bedingungen instabil auftretenden handelt. Die zusätzlich emittierte Menge an auch natürlich vorkommenden Strahlern durch menschliche Nutzungen ist im Allgemeinen gering. Die Quellen des Eintrags künstlich erzeugter radioaktiver Strahlung in die Ozeane gehen auf folgende Ursachen zurück: - Fallout und Blowout von Kernwaffenversuchen. - Einleitungen durch Wiederaufbereitungsanlagen (WAA) für nuklearen Brennstoff. - Einleitungen durch Abwässer aus Kernkraftwerken. - Einleitung der Abwässer aus dem Uranabbau. - Eintrag durch unfallbedingte Freisetzungen aus kerntechnischen Anlagen. - Freisetzungen aus atomarer Kriegsmaschinerie - "Sonstige Quellen" Im Folgenden möchte ich mich vorrangig mit diesen künstlichen Einträgen in die Meere beschäftigen. Fallout und Blowout von Kernwaffenversuchen "In den letzten 40 Jahren", resümiert die UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung, "war die gesamte Erde aus dem Fallout nuklearer Waffen freigesetzter Radioaktivität ausgesetzt. Der größte Teil dieser Freisetzungen ist die Folge atmosphärischer Explosionen, die durchgeführt wurden, um nukleare Waffen zu testen." (UNDPCSD 1997). "Das Atomwaffenzeitalter begann am 16. Juli 1945.", konkretisiert Greenpeace, "An diesem Tag zündeten die USA unter dem Codenamen "Trinity" in Alamogordo/New Mexico ihre erste Atombombe. Als nächstes Land ließ am 29. August 1949 die Sowjetunion ihre erste Atombombe explodieren. Andere Länder folgten: Großbritannien mit einem ersten Test am 3. Oktober 1952, Frankreich am 13. Februar 1960, China am 16. Oktober 1964 und Indien am 18. Mai 1974." (GREENPEACE 1996). Weniger als einen Monat nach der ersten Test-Explosion in der Wüste New Mexicos erfolgte der erste Einsatz dieser neuen Waffe "in vivo": Zwei Atombomben mit den freundlichen Bezeichnungen "Little Boy" und "Fat Man" detonierten über den Japanischen Städten Hiroshima (6. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945). Obwohl diese Abwürfe bislang glücklicherweise die letzten ihrer Art waren, blieb die atomare Aufrüstung über lange Zeit die zentrale Ausdrucksform der konkurrierenden Weltmächte im sogenannten "Kalten Krieg" zwischen USA und UdSSR. Weitere Staaten kamen hinzu und erklärten ihren Anspruch auf die atomare Waffe. Hartmut Nies beschreibt den Fallout durch oberirdische Kernwaffenversuche als eine der bis heute wichtigsten Quellen für die Freisetzung radioaktiver Substanzen. Das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie schätzt das aus atmosphärischem Fallout resultierende Radioaktivitätsniveau an Cs-137 im Nordatlantik auf etwa 2 bis 3 Bq/m3. Jedoch scheint die Gefahr durch diese Art der Freisetzung inzwischen gebannt. Der letzte oberirdische Atomwaffenversuch fand im Oktober 1980 in der Volksrepublik China statt. Diese Art der Kernwaffentests ist seither verboten. Doch Untersuchungen vor allem der Testgebiete in den ehemaligen Ostblockstaaten und auf und im Umkreis des von Frankreich zu Testzwecken benutzten Muroroa-Atolls wecken Zweifel an der Sicherheit der seither präferierten Methode unterirdischer Atombombenversuche. Immer wieder werden Unfälle und Fehler in den Berechnungen bekannt. Bei einem unterirdischen Test auf der Inselkette Novaja Semlja am 2. August 1987 brach das Bohrloch ein und eine radioaktive Wolke entwich. Weitere dieser Ereignisse gingen voraus und folgten, ohne daß sie von den Medien bisher mit Interesse zur Kenntnis genommen wurden. Nach Angaben des ehemaligen russischen Atomministers Viktor Michailow wurden bei ungefähr einem Drittel aller unterirdischen Atombombentests radioaktive Gase freigesetzt. (Frankfurter Rundschau 27. April 1991) Auch Untersuchungen am von Frankreich zu diesen Zwecken gebrauchten Muroroa-Atoll erhoben Zweifel an der Sicherheit des die gezündeten Bomben umgebenden Gesteins. Durch die Detonationen schien das Gestein porös geworden zu sein. Grund- und Meerwasser kann in diesem Fall in das Bohrloch ein- und radioaktive Partikel ausdringen. Die Folgen sind bislang nahezu unbekannt. "Am 8. Juli 1996 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag in einem von der UN-Generalversammlung eingeleiteten Gutachten-Verfahren nach Art. 96 Abs.2 der UN-Charta eine Entscheidung getroffen [...]: Die Androhung des Einsatzes und der Einsatz von Atomwaffen verstoßen generell gegen das Völkerrecht und im besonderen gegen die Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts." (DEISEROTH 1996). Im Jahr 1998 erklärten die Staaten Indien und Pakistan sich und der Welt mit fünf bzw. sechs unterirdischen Testexplosionen und großem Jubel der eigenen Bevölkerung ihre neue Rolle als Atommacht. Einleitungen durch Wiederaufbereitungsanlagen (WAA) für nuklearen Brennstoff. Insgesamt existieren zur Zeit weltweit zwanzig Anlagen zur Wiederaufbereitung radioaktiver Brennstoffe. Die meisten dieser Anlagen erfüllen jedoch entweder direkt militärischen Zwecken oder sind auf die Aufbereitung relativ kleiner Mengen ausgelegt. Drei dieser Anlagen sind jedoch zu kommerziellen Nutzung der Wiederaufbereitung ausgelegt, von denen eine in Frankreich (LA Hague am Cap la Hague) und zwei in England (Sellafield in der Grafschaft Cumbria und Dounreay im Nordosten Schottlands) betrieben werden. Vor allem diese Anlagen stehen seit ihrer Errichtung im Kreuzfeuer der Kritik. Unerklärliche Häufungen der Krebsfälle in der engeren Umgebung der WAAs, scheinbar unkontrollierte Emissionen von Radioaktivität über Abwasser und Abluft und ein pseudomilitärischer Hauch von Informationszurückhaltung riefen breiten Protest in der Bevölkerung und bei Wissenschaftlern hervor. Die Wiederaufbereitungsanlage La Hague wird von der französischen Firma COGEMA (Companie Generales des Matieres Nucleaires) betrieben. Diese befindet sich zu 89% im Besitz des Commisseriat a l`energie atomique (CEA) und zu 11% dem Ölkonzern Total. Beide Gesellschafter ihrerseits befinden sich in staatlichem Eigentum, somit ist die COGEMA ein zu 100% französisch-staatliches Unternehmen. Auf dem Gelände von La Hague am Cap La Hague in der Normandie stehen zwei Anlagen zur Wiederaufbereitung nuklearer Abfälle, jeweils eine für französische und für ausländische Kunden. Außerdem befinden sich dort verschiedene sogenannte "Nebenanlagen", unter anderem ein Lagerbecken für abgebrannte Brennelemente, eine Abwasserbehandlungsanlage, eine Anlage zur Verglasung hochradioaktiver Abfälle und ein inzwischen gefülltes Atommüllager. Im Oktober 1996 veröffentlichten die französischen Wissenschaftler Dominique Pobel und Jean-Francois Viel Untersuchungsergebnisse zu Leukämieraten von Kindern und Jugendlichen im nahen Umkreis von La Hague. In einem Untersuchungskreis von 35 km um die Anlage recherchierten Pobel und Viel 27 Personen unter 25 Jahren, bei denen Leukämie diagnostiziert wurde. Als mögliche Ursache stellten sie den Verzehr regional gefangener Fische und Meerestiere und den Aufenthalt an den Stränden nahe der Wiederaufbereitungsanlage fest. (POBEL, VIEL 1996). Die Untersuchungen riefen jedoch immense Kritik unter Wissenschaftlern, Politikern und den Betreibern hervor. Greenpeace nahm aus diesem Grunde im Juni und September 1997, unter anderem unter Verwendung technischen Know-hows der Universität Kiel, Proben der Rohrablagerungen, der nuklearen Abwässer, der Bodensedimente um die Einleitungsstelle und fingen Krebse, um auch deren Gewebe auf radioaktive Nuklide untersuchen zu lassen. Die Entnahme aller Proben fand unter Anwesenheit vereidigter Sachverständiger statt. Die Untersuchungen wurden parallel von der Universität Bremen, der Technischen Universität Eindhoven und dem Labor der Association Pour La Controlle De La Radioactivite Dans L'Ouest (ACRO) durchgeführt. Im einzelnen ergaben die Untersuchungen: Das untersuchte Abwasser enthielt neben einer Vielzahl andere Radionuklide extrem hohe Werte an Cäsium-137 und Tritium. Die durchschnittliche Tritiumbelastung in Regenwasser beträgt 0,6 - 2.4 Bq/kg, in Grundwasser 0.24 - 0.48 Bq/kg . Im Wasser der WAA La Hague ermittelte die Universität Bremen 175.000.000 Bq/kg. Greenpeace: "Der Jahresgrenzwert für radioaktive Strahlung ist für Tritium bereits nach der Einnahme eines kleinen Schluckes des Abwassers erreicht." (HIRSCH 1997) Greenpeace nahm weiterhin Filterproben des Abwassers. Nach offizieller Genehmigung ist es den Betreibern von La Hague erlaubt, radioaktiven Teilchen von einem maximalen Durchmesser von 0,25 m in die Nordsee einzuleiten. Die eingesetzten Filter hatten eine Maschenweiten von 0,63 m, dennoch setzte sich eine große Zahl größerer strahlender Teilchen ab. Greenpeace ging aus diesem Grunde gerichtlich gegen die COGEMA an. Das Verfahren läuft zur Zeit noch. Doch nicht allein die Größe der Teilchen scheint Grund zur Besorgnis. Dr. Gerals Kirchner von der Universität Bremen wies in den Rückständen der Filter Strahlenwerte nach, die die des Abwassers bei weitem übertrafen: Americium-241: 525.000 Bq/kg, Cobalt-60: 429.500.000 Bq/kg, Cobalt-58: 13.160.000 Bq/kg, Cobalt-57: 1.369.000 Bq/kg, Cäsium-137: 4.292.000 Bq/kg, Mangan-54: 46.160.000 Bq/kg, Ruthenium-106: 1.124.000 Bq/kg, Antimon (Sb-125): 3.402.000 Bq/kg, Zink-65: 7.508.000 Bq/kg, Zirkon-95: 1.113.000 Bq/kg, Strontium-90: 158.000.000 Bq/kg, Plutonium-238: 836.800 Bq/kg und Plutonium-239/240: 460.800 Bq/kg. Allein aufgrund der hohen Plutonium-Werte können diese Proben als kenbrennstoffhaltige Abfälle klassifiziert werden. Die Grenze für diese Einstufung errechnet sich aus dem Gehalt von Pu-239 und 241 (über 100.000 Bq/kg). Es wurde errechnet, daß bei einer gemessenen PU-239/240 Konzentration etwa die Hälfte der Aktivität auf Pu-239 entfällt, sowie die Konzentration von Pu-241 mindestens der hundertfachen Konzentration von Pu-239 entspricht. Ausgehend von diesen Voraussetzungen beträgt die Pu-239/241-Aktivität der in Bremen gemessenen Filterproben mehr als das Zweihundertfache des Grenzwertes für Kernbrennstoffhaltigen Abfall. Die von Greenpeace gefangenen Königskrabben weisen äußerst unterschiedliche Werte an Radioaktivität auf. Dieses Ergebnis ist natürlich zurückzuführen auf die natürlich bedingt feststellbaren Unterschiede in den Untersuchungen von Lebewesen. Eine genauere Betrachtung der Ergebnisse läßt jedoch erkennen, daß nur die an der Universität Bremen analysierten Krabben auch auf Alpha- und Beta-Aktivität hin untersucht wurden. Ließe man diese Ergebnisse auch in die anderen Untersuchungen mit einfließen, so differierten die Werte vermutlich lediglich zwischen 5.500 Bq/kg und 7.000 Bq/kg Gesamtstrahlung. Auf EU-Ebene existieren zwei Grenzwerte für nuklear verstrahlte Lebensmittel: Nach dem Tschernobyl-Unfall wurde dieser Wert mit 600 Bq/kg Gesamtstrahlung festgelegt. Für künftige Atomunfälle gilt eine Gesamtbelastung von 1.250 Bq/kg. Der Verzehr von weniger als 200 Gramm der in Bremen analysierten Krebsfleischprobe führen zu einer Überschreitung des Grenzwertes für die deutsche Bevölkerung. (HIRSCH 1997) 1998 fanden weitere Untersuchungen von Greenpeace und der Universität Gent (Belgien) statt. Sie wiesen in Luftproben über der Wiederaufbereitungsanlage La Hague über 56.000 Becquerel an Krypton-85 (Kr-85) pro Quadratmeter Luft nach. (GREENPEACE 1998[I]) Sellafield Die Wiederaufbereitungsanlage Sellafield liegt nahe der Ortschaft Seascale in der britischen Grafschaft Cumbrien. Zentraler Entsorgungsweg für die radioaktiven Abwässer (nach Greenpeace-Angaben rund 9.000.000 Liter täglich) ist die Einleitung in die Irische See. Diese gilt heute als das radioaktiv kontaminierteste Gewässer der Welt. Da hier im Gegensatz zur Atlantikküste vor La Hague nur geringe Strömungsgeschwindigkeiten vorherrschen, findet eine Verdünnung des eingetragenen Materials mit dem Meerwasser nur sehr langsam statt. Auch hier fanden Untersuchungen zu den Risiken von Krebserkrankungen statt. Diese ergaben für das Gebiet Cumbriens eine zehnfache Erhöhung gegenüber dem englischen Durchschnitt. Auch vor der Küste Sellafields nahm Greenpeace Proben des Meerwassers und der Sedimente. Diese wurden von der Universität Wales, der Universität Bremen und der Hamburger Umweltbehörde (HUB) untersucht. Die von der Hamburger Umweltbehörde ermittelten Ergebnisse liegen dem Autor vor und sollen deshalb ausgewählt zitiert werden: In ihrem ersten Schreiben an Greenpeace betont die HUB: "Der höchste Wert (radioaktiver Belastung durch Americium-241, Anm. des Autors) wird nicht am Pipeline-Ende, sondern in einem nach Beschreibung landeinwärts liegenden Fluß-/Ufersediment gefunden, ein anderer hoher Wert stammt von einem Ackerboden; diese Befunde lassen auf eine relativ weiträumige Kontamination der Region um den Auslauf mit langlebigen Transuranelementen schließen."(HAMBURGER UMWELTBEHÖRDE 29.06.1998) Auf das erste Schreiben der HUB folgten weitere Untersuchungen von Wasser- und Sedimentproben. Nach Angaben der Hamburger Umweltbehörde bekräftigen die ,,... außerordentlich hohen Strontium- und insbesondere Plutoniumkonzentrationen [...], dass mit großer Wahrscheinlichkeit großflächige und weite Umweltbereiche um die Sellafield-Anlage (also terrestrische, wie auch und/oder insbesondere marine Ökosysteme, Anm. des Autors) mit diesen Nukliden kontaminiert sind und daß diese radiotoxischen Nuklide langfristig in die Nahrungskette einfließen können. Im Vergleich mit den vor einem Jahr vor La Hague im Seewasser gemessenen Nukliden [...][findet die Umweltbehörde] etwa 3- bis 10-fach höhere Pu-Konzentrationen [...]" Die HUB bestätigt im selben Schreiben eine ,,nicht zu vernachlässigende Strahlenbelastung für die um Sellafield lebende Bevölkerung." (HAMBURGER UMWELTBEHÖRDE 13.07.1998) Greenpeace befragte daraufhin die Hamburger Umweltbehörde nach Vergleichsmaßstäben zur Bewertung der gemessenen Konzentrationen radioaktiver Nuklide. Die HUB antwortete, es gäbe ,,für die Konzentration von Radionukliden in Meerwasser und Sedimenten keine Grenz-, bzw. Richtwerte." Allerdings enthielten die von Greenpeace genommenen Proben ,,je nach Nuklid 10.000 bis 100.000 mal höhere Gehalte als die aufgeführten Vergleichsproben." Diese von der HUB erwähnten Vergleichsproben stammen aus dem Wasser und Sediment der Elbe, bzw. von der Nordseeküste vor Belgien, den Niederlanden, Deutschland und Dänemark und waren vom Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie ermittelt worden. In den Anlagen an das Schreiben findet sich folgender weiterer Kommentar der HUB: ,,Zum Vergleich Freigabekriterien der Strahlenschutzkommission für durch den Uranbergbau kontaminierte Flächen: uneingeschränkte Nutzung als Industriestandort bei Ra-226-Aktivitätskonzentrationen unterhalb 0,2 Bq/g; eingeschränkte Nutzung als Industriestandort bei Ra-226-Aktivitätskonzentrationen bis zu 1 Bq/g." Das natürliche Nuklid Radon-226 wurde in und um Sellafield nicht gemessen. Dafür überschritten jeweils die Analysewerte für Strontium-90, Plutonium-238, Plutonium-239, Cobalt-60, Ruthenium-106, Antimon-125, Cäsium-134, Cäsium-137 und Americium-241 den Grenzwert von 1 Bq/g. Allein die ermittelte Gesamtsumme der Alphastrahler stellt mehr als eine hundertfache Überschreitung dieser für Industriestandorte noch eingeschränkt nutzbaren Marke dar. (HAMBURGER UMWELTBEHÖRDE 27.07.1998) (Keines der drei Schreiben, ebensowenig die Untersuchungen selbst waren den Mitarbeitern der Hamburger Umweltbehörde bei einer Nachfrage durch den Autor bekannt.) Am Ende der Einleitungspipelines von Sellafield von Greenpeace genommene Proben wurden der Organisation von Hamburger Behörden konfisziert. Auch nach später erfolgtem Antrag erhielt Greenpeace keine Genehmigung zu weiterem Umgang mit ihnen. (GREENPEACE Deutschland 1998[I]). Nach einem Schreiben des Bundesausfuhramtes an das Bundesumweltministerium werden die Proben von Ackerboden, Sand und Meerwasser als ,,radioaktive Abfälle" bezeichnet. Nach den Untersuchungen der Universität Bremen wurde der Abtransport dieser Proben in ein Zwischenlager bei Braunschweig angeordnet. Dieser musste durch eine Spezialfirma für nukleare Abfälle durchgeführt werden, da zum einen Greenpeace selbst Transport- oder Umgangsgenehmigung für diese Proben besitzt und zum anderen selbst die hierfür eigentlich zuständige Landessammelstelle in Geesthacht bei Hamburg diese Proben aufgrund ihres außergewöhnlichen Gehalts an Plutonium nicht lagern darf. Greenpeace nahm weitere Proben in der Umgebung des Unfallsreaktors Tschernobyl und verglich sie mit den um Sellafield gemessenen Werten. Die Analysen nahm wiederum die Universität Bremen vor. Die Ergebnisse dieser Vergleiche sind katastrophal erschütternd: Die Böden in den Orten Newbiggin und Muncaster sind wesentlich stärker mit Americium-241 und Cobalt-60 belastet als Böden der gleichen Entfernung von Tschernobyl, und die Belastungen mit Cäsium-137 entsprechen sich. Dennoch, und obwohl eine Sperrzone von 30 Kilometern um Tschernobyl errichtet wurde, ist die Umgebung von Sellafield weiterhin von Restriktionen verschont. Dounreay Die zweite britische Wiederaufbereitungsanlage, Dounreay, befindet sich im äußersten Nordosten Schottlands südlich der Orkney-Inseln. An der Stelle der heutigen Wiederaufbereitungsanlage Dounreay ging im Jahre 1959 der erste kommerzielle Schnellbrüter-Leistungsreaktor der Welt in Betrieb. Ein zweiter Schneller Brüter folgte 1974. Beide Anlagen sind heute geschlossen. Der erste Schnelle Brüter mußte 1977 nach einer Reihe schwerwiegender Störfälle vom Netz gehen. Der zweite wurde 1994 abgeschaltet. Neben den Kernreaktoren stehen in Dounreay zwei Wiederaufbereitungsanlagen, eine für MOX-Abfälle und eine weitere Anlage für kernwaffenfähiges, hochangereichertes Uran. Außerdem befinden sich auf dem Gelände der WAA ober- und unterirdische Lagerstätten für radioaktiven Müll. Aufgrund der Abgelegenheit der Anlagen, allerdings auch der Unzuverlässigkeit offizieller Stellungnahmen sind Angaben über die von ihnen ausgehenden Umweltbelastungen nur sehr vage zu treffen. Allerdings gaben selbst die Betreiber Greenpeace zufolge zu, in der Vergangenheit verantwortungslos mit dem hochgiftigen Material umgegangen zu sein. (GREENPEACE 1997). Die Liste der betrieblichen Stör- und Unfälle zwischen 1962 und 1998 ist erschreckend. Die Ausmaße der Freisetzungen radioaktiver Materialien können nur geahnt werden, da offizielle Angaben, nach denen die Menge austretenden Gases gering waren, bereits mehrfach widerlegt wurden. In einem 65 Meter tiefen Schacht nahe der Küste wurden über zwanzig Jahre radioaktive Abfallstoffe unterschiedlichster Zusammensetzung und Herkunft ,,entsorgt". Aufzeichnungen über Menge und Art der hineingelassenen Stoffe existieren nicht. Zur Kühlung des Lagers wurden Kalium und Natrium hinzugegeben. 1977 reagierte eindringendes Meerwasser mit diesen Metallen und verursachte eine Explosion gigantischer Ausmaße. Der Schacht wurde versiegelt, aber noch heute dringt durch Löcher und Spalten Meerwasser hinein und wieder aus. Die strahlenden Nuklide werden dadurch beständig aus dem Gestein herausgewaschen und in den Atlantik eingetragen. Am 29. Oktober 1997 erklärte die Scottish Environmental Protection Agency (SEPA) eine Sperrzone von 2 Kilometern um die Anlage, in denen sowohl das Fischen, wie auch das Sammeln von Muscheln und anderen Seetieren verboten ist. Auch mehrere Gebiete außerhalb des Geländes mußten in der Vergangenheit abgesperrt werden, weil direkt gesundheitsgefährdende Konzentrationen von Radioaktivität gefunden wurden. Auch potentiell lebensgefährdende Hot Spots konnten nachgewiesen werden. Einleitungen durch Abwässer und Auswaschung von Abgasen aus Kernkraftwerken. Kernkraftwerke produzieren Zeit ihres Lebens neben der gewünschten Energie eine unterschiedliche Menge an radioaktiver Abstrahlung. Die Menge und Intensität dieser Abstrahlung ist stark abhängig vom technischen Standard der Länder, in denen sie stehen. Vor allem die Kernkraftwerke der ehemaligen Ostblockstaaten stehen in dem Ruf, Sicherheitsvorkehrungen mindester Qualität zu besitzen. Doch selbst der hohe Standard der Technik in entwickelten Ländern wie Deutschland scheint in seinen Sicherheitsvorkehrungen Lücken aufzuweisen. So wies zum Beispiel der Münchner Wissenschaftler Alfred Körblein grobe Fehler in Krebsstudien des Bundesamtes für Strahlenschutz nach und belegte eine statistisch signifikante Erhöhung des Krebsrisikos im Umkreis bayrischer Kernkraftwerke. (KÖRBLEIN 1997, 1998, 1999) Von diesen Krebsstudien ist kein direkter Zusammenhang auf Menge und Auswirkungen der in die Meere eingetragenen Radionuklide zu schließen. Allerdings werden die an die Luft abgegebenen Moleküle je nach Windverhältnissen auch auf die Meere abgetrieben, wo sie sich entweder selbst an die Wassermoleküle anlagern oder mit dem Regen aus der Luft ausgewaschen werden. Das Einleiten der Abwässer in Flüsse, z.B. die Elbe, bildet den zweiten Transportweg. Studien aus den USA ergaben außerdem, daß der Transport über das Grundwasser wesentlich stärker ist als bislang angenommen wurde. (Berliner Morgenpost 1999). Einleitung der Abwässer aus dem Uranabbau. Der Abbau uranhaltigen Gesteins bildet die erste Station des sogenannten Brennstoffkreislaufs. Uranerze sind auf der Welt weit verbreitet. Wirtschaftlich genutzte Uranerzlagerstätten befinden sich in Australien, Kasachstan, Kanada, Niger und den Vereinigten Staaten. In Deutschland gibt es u. a. kleinere Lagerstätten im Erzgebirge, Schwarzwald und im Nordosten Bayerns. Von diesen errang vor allem die von der ,,Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft" (SDAG) in der Nähe des Ortes Schneeberg am Rande des Erzgebirges betriebene Uranfördergesellschaft traurige Berühmtheit. In einigen umliegenden Häusern wurden Spitzenwerte an Radon von 5.000 Bq/m3gemessen, was zu einer effektiven Dosis von etwa 250 mSv führte. ,,Eine akute Strahlengefährdung geht von riesigen, radioaktiv verseuchten Abraumhalden des Uranbergbaus im Städtedreieck Gera, Zwickau, Chemnitz aus. 1.200 Quadratkilometer radioaktives Verdachtsgebiet hat die sowjetisch-deutsche Wismut AG hinterlassen."(MARQUARDT-MAU et al. 1993). Dieses Abraummaterial sei weiterhin zum Bau von Straßen und Wohnungen verwendet worden. Durch das aus dem ehemaligen Bergwerk noch heute gepumpte Abwasser werden, wie der BUND nachwies, neben anderen hochgiftigen Substanzen (Cadmium, Arsen) pro Stunde etwa 800 g Radon und 1.000 g Uran in einen künstlichen Teich gespült. Welche Menge dieser Schadstoffe in das Grundwasser gelangen, ist unbekannt. (BRENDEL 1990 / KUCHENBRUCH 1996) Ähnliche Probleme für die Umwelt finden sich auch in den noch heute genutzten Uranabbaustätten. Schuhmann et al. berichten von massiven Belastungen von Pflanzen und Tieren im Umkreis von Uranbergwerken Kanadas. Wasserpflanzen und Fische zeigten erhebliche Konzentrationen an Uran-238, Radium-226 und Blei-210. Im Gebiet um das Uranabbaugebiet von Rabbit Lake wurden zweiköpfige Föten von Elchen gefunden. Als mögliche Ursache nennen die Autoren die Anlagerungen von Radionukliden in Wasserpflanzen, einer wichtigenNahrungsquelle für Elche. (SCHUHMANN et al. 1990) Eintrag durch unfallbedingte Freisetzungen aus kerntechnischen Anlagen Der wohl bekannteste Unfall in einer kerntechnischen Anlage ist mit dem Namen Tschernobyl auf ewig in die Geschichte eingegangen. Am 26. April 1986 geriet einer der Reaktoren des Kraftwerkes außer Kontrolle und löste eine Wasserstoffexplosion aus. 31 Helfer (sogenannte ,,Liqidatoren") starben bereits im selben Jahr an den Folgen der Strahlung. Bis 1994 erlagen ihr weitere 14 Helfer. Um das Kraftwerk von Tschernobyl befindet sich eine Sperrzone mit einem Radius von 30 Kilometern. Bis heute wiesen verschiedene Untersuchungen entgegen offizieller Angaben eine dramatische Erhöhung der Krebszahlen im weiten Umkreis des Unfallortes nach. Der Tschernobyl-Unfall wird oftmals als GAU bezeichnet. Heute weiß man, daß die Folgen Tschernobyls an die eines tatsächlich Größten Anzunehmenden Unfalls bei weitem nicht heranreichten. Die UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung erklärt: ,,Unfälle passieren unvermeidlich beim Umgang mit radioaktiven Materialien. Vor Tschernobyl ereigneten sich zwei ernsthafte Unfälle 1957 in militärischen Kraftwerken im südlichen Uralgebiet, wo mehrere Quadrillionen (1024, Anm. d. Autors) Becquerel radioaktiver Materialien über die Provinzen Cheliabinsk, Sverdlovsk und Thyomensk verteilt wurden, und in der Grafschaft Cumbrien in Großbritannien, wo die radioaktiven Emissionen zu einer durchschnittlichen Belastung von 1.300 Sievert pro Person führten." Das Ministerium für Finanzen und Energie des Landes Schleswig-Holstein beginnt seine Veröffentlichung ,,Gefahren der Atomkraft" mit einer Auflistung weiterer ausgewählter Unfälle in europäischen Atomreaktoren: ,,Menschliches Versagen war nicht nur für den Reaktorstörfall in Harrisburg und den Reaktorunfall von Tschernobyl entscheidend, sondern auch für andere, wenn auch nicht vergleichbar gewichtige, Stör- und Unfälle der Vergangenheit: Solche Unfälle haben sich z.B. bei einem kanadischen Forschungsreaktor 1952, bei einem englischen militärischen Reaktor 1957 und bei einem schweizerischen Versuchs-KKW 1969 ereignet. Im Falle des englischen Reaktors (Windscale I) (heute Sellafield, Anm. d. Autors) wurde die erheblich Tragweite des Unfalls (nach offiziellen Angaben 30 - 40 Todesopfer) der Öffentlichkeit erst 30 Jahre später bekanntgegeben. Zusätzlich also zu den bereits im Normalbetrieb kerntechnischer Anlagen austretenden Radionukliden besteht anscheinend fortwährend trotz aller Sicherheitsbekundungen der Betreiber das nicht zu vernachlässigende Risiko eines folgenschweren Unfalls, der die bereits bestehenden Langzeitrisiken (vergl. verschiedene Leukämie- und Schilddrüsenkrebsstudien, z.B. Pobel, Körblein ...) verschärfen und zusätzliche akute Wirkungen für Menschen, Tiere und Pflanzen auslösen könnte. Freisetzungen aus atomarer Kriegsmaschinerie Etwa die Hälfte der heute weltweit betriebenen Atomreaktoren befinden sich als Antrieb an Bord von Kriegsschiffen und U-Booten. Während über Freisetzungen durch Kernwaffenversuche und die Ausstrahlungen der zivilen Nutzung von Radioaktivität inzwischen viel bekannt wurde, sind die Informationen zu den Nebenwirkungen der besonders zur Zeit des Kalten Krieges vorangetriebenen Aufrüstungspolitik auch heute nur spärlich. Vor allem über die US-amerikanische Flotte ist aufgrund der militärischen Geheimhaltungspolitik wenig bekannt. Im Gegensatz hierzu kamen dank Glasnost viele Informationen über Unfälle mit Atomreaktoren der ,,Roten Flotte" ans Licht. GREENPEACE trug die Ergebnisse eigener Untersuchungen, sowie denen von Naturwissenschaftlern und Mitarbeitern an Gesundheitsorganisationen, außerdem Informationen von Politikern, Militärs und Friedensforschern zusammen und veröffentlichte sie vor einigen Jahren in einem eigenen Papier. Fazit der GREENPEACE-Mitarbeiter: ,,Die strategische U-Boot-Flotte der UdSSR" [litt] unter einer regelrechten Serie schwerwiegender Havarien." Allein zwölf dieser Unfälle zwischen 1961 und 1992 werden als Auszug im oben zitierten Papier genannt. - An Bord des U-Bootes K-19 (,,Hotel-Klasse") bildete sich am 4. Juli 1961 ein Leck im Primärkühlsystem des Reaktors. Der Unfall ereignete sich etwa 100 Meilen vor den norwegischen Jan-Mayen-Inseln Durch die Hilfe Freiwilliger konnte ein Notkühlsystem gebaut und ein Schmelzen des Reaktors verhindert werden. Das U-Boot erreichte den Heimathafen. Die Helfer starben ohne Ausnahme innerhalb weniger Tage. Sie waren Dosen von 50 - 60 Sievert ausgesetzt gewesen. - Am 24. Mai 1968 wurde an Bord des atomgetriebenen U-Bootes K-27 Strahlung frei, als die Flüssigmetallkühlung versagte. Neun Mitglieder der Besatzung starben, das Schiff konnte jedoch den Stützpunkt erreichen. Es wurde später vor der Küste Novaja Semlja versenkt. - Das Atom-U-Boot K-8 (,,November-Klasse") sank am 12. April 1970 300 Meilen nordwestlich der Küste Spaniens. Im Elektronikbereich im Heck des Schiffes war ein Feuer ausgebrochen. - In der Japanischen See nahe Wladiwostok brach im Antriebsraum eines U-Bootes der Echo-II-Klasse am 21. August 1980 ein Feuer aus. Crew und Schiff wurden evakuiert. Neun Menschen starben. JapanischeUntersuchungen der Luft und des Wassers wiesen radioaktive Kontaminationen nach. - Am 10 August 1985 explodierte der Reaktor eines U-Bootes der Viktor-I-Klasse 35 Meilen vor Wladiwostok in der Chazhma Bucht, einer Wartungseinrichtung für Atom-U-Boote. Durch menschliches Versagen wurden beim Nachladen des Brennstoffes die Kontrolleinrichtungen des Reaktors beschädigt. Der Reaktor explodierte und Feuer brach aus. Berichten zufolge reichten die Skalen der Meßgeräte nicht aus, um die Intensität der Strahlung zu messen. Die Rede ist von mehreren Pecabecquerel (= 1.000.000.000.000.000 Bq) radioaktiver Strahlung. Eine radioaktive Wolke einer Größe von etwa 24 Quadratkilometern breitete sich aus. Die Strahlenwerte im weiten Umkreis der Unfallstelle übersteigen noch heute um mehr als das Hundertfache die natürliche Hintergrundstrahlung. - Das russische Atom-U-Boot ,,Komsomolets" sank im April 1989 südwestlich der Bäreninsel im Nordmeer. Das Wrack liegt in etwa 1.700 m Tiefe. Das Inventar seines Atomreaktors wird auf 1,5 PBq Strontium-90 und 2.0 PBq Cäsium-137 geschätzt. Zusätzlich enthält das Wrack zwei atomare Gefechtskörper mit einer Ladung von 6,9 kg Plutonium-239. Dies entspricht etwa 16 Terabecquerel (16.000.000.000.000 Bq). Nach Angaben des BSH ist aus diesem Wrack bisher keine Radioaktivität entwichen. Eine Anzahl weiterer Fälle ist bekannt, bei denen es durch menschliches oder technisches Versagen zu schwerwiegenden Unfällen oder sogar dem Sinken der Reaktoren kam. Hinzu kommen bewußte Versenkungen ausgedienter Atomreaktoren und anderer Restmaterialien vormals militärischer Nutzung. Die Sowjetunion nutzte hierfür in vielen Fällen die Gewässer um die Nowaja Semlja Inselkette, einem zwischen 1957 und 1962 stark genutztem Atombombentestgebiet. Alexander Nikitin, ehemaliger Kapitän der sowjetischen Flotte, ehemaliger Student der Marineakademie von St. Petersburg, Fakultät für Kriegsschiffbau, Schwerpunkt atomare Sicherheit, ehemaliger Mitarbeiter des sowjetischen Verteidigungs-ministeriums (Abteilung Nuklearsicherheit), veröffentlichte mit der norwegischen Umweltstiftung Bellona einen Bericht über die schwerwiegenden Probleme der atomaren Flotte Rußlands. Am 6. Februar 1996 wird er vom FSB (Nachfolgeorganisation des KGB) verhaftet und unter der Anklage von Hochverrat und Spionage gestellt. Strafe: Lebenslange Haft, respektive Todesstrafe. Nur den unermüdeten Versuchen seiner Frau, des russischen Staranwalts Jurij Schmidt und Amnesty International ist zu verdanken, daß Nikitin letztendlich freigesprochen wurde. Ein weiterer Fall ist noch heute nicht abgeschlossen: Grigori Pasko, ein russischer Journalist, berichtete über Videoaufnahmen von russischen Marinesoldaten, die illegal atomare Sprengköpfe in die Japanische See warfen, von der Verklappung chemischer und radioaktiver Abwässer. Der Prozeß ist bislang nicht abgeschlossen, Unterstützer des Journalisten (unter ihnen auch hochrangige Rechtswissenschaftler) veröffentlichen jedoch weiterhin die von Pasko verwendeten Materialien. "Sonstige Quellen" Die oben beschriebenen Quellen beschreiben die bisher am besten untersuchten und im Grunde bekannten Ursachen künstlich erzeugter Radioaktivität in den Umweltmedien und der Biosphäre. Darüber hinaus kann hierdurch die Liste der Strahlungsursachen jedoch nicht als abgeschlossen gelten. Da in manchen Bereichen der Nutzung der Wissensstand aufgrund fehlender Untersuchungen oder bewußter Geheimhaltung noch unzureichend ist, bedarf es oftmals einem gewissen Maß an Phantasie und Recherchekunst, um an Informationen heranzukommen, diese Liste fortzusetzen: Die IPPNW, ein internationaler Zusammenschluß besorgter Ärzte und Ärztinnen, sammelte Informationen über Abstürze Plutonium enthaltender Raumsonden. Bis 1996 wurden neun Fälle (drei aus den Vereinigten Staaten und sechs aus der Sowjetunion) bekannt, in denen Raumsonden ihr Ziel nie erreichten und statt dessen Kurs nahmen auf die Meere und das Festland der Erde. - Im Jahr 1964 verglühte ein US-amerikanischer Satellit mit über einem Kilogramm Plutonium eines SNAP-9a-Generators in der Atmosphäre. Spuren dieses Plutoniums fanden sich heute über den gesamten Erdball verteilt. - Am 17. April 1970 entgeht die Erde nur knapp einer Katastrophe, als Apollo-13 aufgrund eines Lecks im Sauerstofftank ihre Mission abbrechen und zur Erde zurückkehren muß. Ihre Besatzung wurde gerettet, doch die Reste der Mondfähre liegen noch immer am Grunde des Südpazifiks, einschließlich 4,1 Kilogramm Plutonium-238. - Im Jahr 1978 verseucht der abstürzende Sowjetsatellit ,,Cosmos 954" in Kanada 124.000 km2 mit einer Wolke aus Radioaktivität. - In der Nacht vom 17. auf den 18. November 1996 stürzte die russische Sonde Mars ´96 zwischen der chilenischen Küste und den Osterinseln ab. An Bord der Sonde befanden sich zwei Fahrzeuge zur Marserkundung, jeweils angetrieben von Generatoren mit 270 Gramm des hochradioaktiven Nuklids Plutonium-238. - ... Der Transport radioaktiver Stoffe rückte in Deutschland vor allem durch die massiv kritisierten Castor-Transporte in die Zwischenlager Gorleben und Ahaus in das Blickfeld öffentlichen Interesses. Radioaktives Material wird jedoch auch auf dem Seeweg befördert. Professor Jon M. Van Dyke von der University of Hawai`i in Honolulu beschreibt diese rechtlich bislang kaum geregelten Transporte als Gefahr unvorhersehbaren Risikos. Im November 1992 transportierte der japanische Frachter Akatsuki Maru 1.1 Tonnen Plutonium von Frankreich nach Japan. Es passierte dabei das Kap der Guten Hoffnung und umschiffte Australien und Neu Seeland , bevor es in den japanischen Hafen einfuhr. Die britische Pacific Pintail hatte 1995 28 Fässer verglasten hochradioaktiven Materials an Bord. Jedes von ihnen wog eine halbe Tonne. 40 dieser Fässer wurden 1997 von der Pacific Teal transportiert. Die Pacific Swan hatte im Januar 1998 60 Fässer geladen. Van Dyke erklärt: ,,Jeder dieser 60 Kanister auf der Pacific Swan enthält 17.000 Terabecquerel (1TBq = 1.000.000.000 Bq. Anm. des Autors) an Beta-gamma-Aktivität. Diese hochtoxischen und langlebigen Gifte bedeuten eine Gefahr für große Bevölkerungsschichten an den Küsten und können in den Ozeanen ökologisch tote Zonen für mehrere tausend Jahre erzeugen." (VAN DYKE 1998) Verschiedene Staaten, z.B. Brasilien, Argentinien und Chile, versuchten aus diesem Grunde bereits, Frachtern mit hochradioaktiver Fracht die Durchfahrt durch eigene Gewässer zu untersagen. Eine weitere Möglichkeit des Eintrags radioaktiver Stoffe in Meere und Ozeane ist der Transport dieser Materialien in Flugzeugen. Auf diesem Wege gelangen zum Beispiel Brennelemente der Berliner Hahn-Meitner-Instituts (Forschungsreaktor) oder der Herstellungsanlage für Mischoxid(MOX)-Brennelemente in Hanau bei Frankfurt in die schottische Wiederaufbereitungsanlage Dounreay. Die direkte Versenkung strahlender Abfälle ist heute im Gegensatz zu Einleitungen aus nuklearen Anlagen nach internationaler Gesetzeslage verboten. Die 1983 erstmals in Kraft getretene (damals als 10-jähriges Moratorium) und 1993 verlängerte und ausgeweitete London Dumping Convention ist seitdem für weltweit alle Meere gültig und wurde von insgesamt 90 Staaten ratifiziert. Bevor dieses Gesetz jedoch in Kraft trat, nutzten viele Staaten die Tiefen der Meere als Hauptentsorgungsquelle, und einige von ihnen, so verdeutlichen Berichte zum Beispiel aus der ehemaligen UdSSR, nutzen sie noch heute. Datenmaterial über die Mengen der versenkten Abfälle ist kaum zugänglich. Auch vorgenommene Sicherheitsvorkehrungen gegen Druck- und Strömungsverhältnisse unter Wasser sind nicht bekannt. Lediglich über das zentrale Versenkungsgebiet der ehemaligen UdSSR um die Inselkette Nowaja Semlja wurden nach Zusammenbruch des Sowjetreiches aus offiziellen und inoffiziellen Quellen Informationen zugänglich. Das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie untersuchte die Strahlenbelastung der Kara-See. Es dokumentierte zwar Erhöhungen der Strahlenwerte, erklärte jedoch keine direkte Gefahr für Menschen. Noch seien die in der Kara-See versenkten Reaktoren relativ sicher verschlossen. Die hypothetischen Folgen einer schlagartigen Freisetzung der gesamten, in den versenkten Reaktorkernen enthaltenen Strahlung errechneten Ingo Harms vom Hamburger Institut für Meereskunde und Michael Karcher vom BSH beispielhaft an der Ausbreitung des in ihnen enthaltenen Cäsium-137, einer Gesamtmenge von etwa 1015 Bq. Die Ergebnisse der Hamburger Wissenschaftler ergaben, daß selbst in diesem angenommenen schlimmsten Falle die von der Kara-See ausgehende Belastung in der Arktisregion höchstens der durch Atomwaffentests bereits vorhandenen Hintergrundstrahlung entspräche und auch in der Kara-See selbst die dadurch verursachte Strahlenbelastung ,,im Schnitt mit etwa 30 Bq pro Kubikmeter Seewasser nur um das Drei- bis Dreißigfache über der Hintergrundstrahlung" liege (GEO 1997). Vorsichtige Zweifel an diesem Fazit sind allerdings angebracht. Die Gesamtmenge der mit den sowjetischen Reaktoren versenkten Strahlung beträgt 37 Petabecquerel. Harms und Karcher bezogen nur rund drei Prozent der in ihrem Szenario austretenden gesamten Strahlung in ihre Modellierungen mit ein. Welche Folgen zu erwarten sind, sollten die Mäntel der Reaktoren eines Tages durch Verwitterung undicht werden, erwähnt das BSH nicht. Das Mißverhältnis zwischen dem Verbot der direkten Versenkung und den bis heute kaum eingeschränkten Einleitungsgenehmigungen erklärt Michael Kühn von Greenpeace in einem Gespräch anhand des Beispiels von Greenpeace vor Sellafield genommener Meeressedimentproben: ,,Die von uns genommenen Proben enthalten hochgradige Konzentrationen radioaktiver Elemente. Einige der Proben wurden vom deutschen Bundesausfuhramt als kernbrennstoffhaltige Abfälle klassifiziert und uns der weitere Umgang mit ihnen verboten. Es war also erlaubt, diese Proben aus dem Meer zu entnehmen. Wollten wir sie wieder ins Meer zurückschütten, wäre uns dies verboten. Wenige Kilometer von der Probennahmestelle ist es für Kinder erlaubt, am Strand zu spielen." Einteilung nach strahlenden Nukliden und der Art der Strahlung Strahlende Nuklide So unterschiedlich die möglichen Wege der Einleitung radioaktiver Partikel in die Meere sind, so unterschiedlich ist auch die Zusammensetzung der jeweils eingetragenen Frachten. Aus diesem Grunde möchte ich in den folgenden Abschnitten die Entstehung und spezifische Eigenschaften verschiedener anthropogen erzeugter Radionuklide darstellen, die in der Diskussion um die Folgen der menschlichen Nutzung der Atomspaltung derzeit große Aktualität haben. Zum Beispiel: ,,Technetium" Technetium erlangte in der Mitte der 90er Jahre ein gesteigertes Maß an Aufmerksamkeit durch die Diskussionen um die Wiederaufbereitungsanlage Sellafield in England. Neben Kobalt-60 und Strontium-90 gehört es zu den Nukliden, die von dieser Anlage trotz einer allgemeinen Verringerung der in die Meere eingeleiteten Substanzen schlagartig in weitaus größeren Mengen abgegeben wurden. (GEO 10/97; GREENPEACE 97 [I] / 98 [II]) Technetium ist ein silberfarbenes, radioaktives Metall. Seinen Namen erhielt Technetium vom griechischen ,,technetos" (_ ,,künstlich"), da es in der Natur praktisch nicht vorkommt. Geringste Mengen entstehen bei der Spaltung von Uran-238 auf natürlichem Wege. Bei Uranspaltungen in Kernreaktoren entstehen jedoch weltweit pro Jahr ca. fünf Tonnen dieses Elements. Insgesamt sind heute 21 verschiedene Isotope bekannt. Sie sind allesamt radioaktiv. Die kürzesten Halbwertszeit haben die Isotope Tc-109 (HWZ: 1,4 sek.) und Tc-110 (HWZ: 0,83 sek.). Am langsamsten zerfallen Tc-98 mit einer Halbwertszeit von 4.200 .000 Jahren und Tc-99 (HWZ: 213.000 Jahre). Das langlebige Isotop Technetium-99 entsteht zum Beispiel bei der Wiederaufbereitung von Magnox-Kernbrennstoff in der englischen WAA Sellafield. Seit dem Jahre 1994 wird von Sellafield radioaktives Technetium-99 in die Irische See eingeleitet. Greenpeace fing Hummer in der Irischen See, nahe der Wiederaufbereitungsanlage und ließ sie auf Tc-99-Konzentrationen untersuchen. Die 1997 gemessene Höchstbelastung an Technetium-99 übersteigt den Gehalt an Radioaktivität in Nahrungsmitteln, bei dem die Europäische Kommission im Falle eines Nuklearunfalls Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung für nötig hält, um das 42fache. Zum Beispiel: "Plutonium" Plutonium gehört zu den wohl giftigsten und umweltschädigendsten Stoffen, die in der Natur vorkommen. Die Verwendung dieser Substanz in Atombomben verschaffte dem Menschen eine Waffe zuvor unbekannter Auswirkungen, wie die von der USA durchgeführten Abwürfe dieser Bomben über Japan 1957 unzweideutig belegten. Plutonium ist ein radioaktives Metall silbriger Färbung. Bei Kontakt mit erhitztem Wasser oder Säuren reagiert Plutonium unter Freisetzung von Wasserstoffgas, was bei Störfällen in Kernreaktoren fatale Folgen haben kann. Fünfzehn Plutonium-Isotope sind bekannt. Sie sind alle instabil und zum Teil äußerst langlebig (HWZ Pu-244: 82.600.000 Jahre / Pu-242: 376.300 Jahre / Pu-239: 24.110 Jahre). Aus Mangel an Wissen oder aus Fahrlässigkeit wurden bis Anfang der 80er Jahre mehrere 1000 Tonnen mit Plutonium verseuchtem hochradioaktive Atommüllfässer in den Weltmeeren versenkt oder vergraben. Erst 1993 gab die russische Regierung einen Unfall in einem Atommülllager in der Nähe der Stadt Tscheljabinsk am Ostrand des Ural bekannt. Eine unkontrollierte Wärmeentwicklung führte zur Verpuffung von Wasserstoffgas. Die Folge war eine Verseuchung eines größeren Gebietes als bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Der Unfall ereignete sich Anfang der 50er Jahre. Das Gebiet gilt bis heute als Sperrzone. (UNDPCSD 1997) Plutonium ist nicht nur radioaktiv, sondern darüber hinaus hochgradig toxisch. Rein rechnerisch würde eine Menge von einem Kilogramm Plutonium ausreichen, um die gesamte Menschheit zu vergiften. Aus Tierversuchen leitete man ab, daß das Einatmen einer Menge von 27 Millionstel Gramm Plutonium ausreichen, um beim Menschen mit Sicherheit Lungenkrebs auszulösen. (IPPNW 1996) Das Risiko für Klein- und Kleinstlebewesen in den Meeren muß entsprechend höher eingeschätzt werden. Hinzu kommt, daß diese Lebewesen die Nahrungsgrundlage größerer Tiere darstellen. Die Gesamtmenge in Verkehr befindlichem reinen Plutoniums kann heute nur geschätzt werden. Allein 100 Tonnen befinden sich im Besitz der Vereinigten Staaten, Rußland und die Ukraine folgen in der Statistik. Es kann davon ausgegangen werden, daß sich die Gesamtmenge jährlich durch den Betrieb von Kernreaktoren um 20 Tonnen erhöht. Zum Beispiel: "Uran" Uran ist ein silbriges, verformbares, metallisches Element, das in der Natur in drei verschiedenen Isotopen vorkommt: U-234, U-235 und U-238. Jedes dieser drei, sowie alle weiteren künstlich herstellbaren Isotope von Uran sind radioaktiv. Reines Uran besteht zu über 99 Prozent aus dem Isotop Uran 238, zu weniger als ein Prozent aus dem spaltbaren Isotop Uran 235 und in Spuren aus Uran 234. Laut Fischer Weltalmanach 1996 betrug im Jahr 1992 die Weltproduktion an Urankonzentrat (Yellow Cake) insgesamt knapp 35.500 Tonnen. Um Uran wirtschaftlich als Kernbrennstoff in Reaktoren oder als Material für atomare Waffen nutzen zu können, muß der Anteil des leicht spaltbaren Isotops Uran-235 auf einen Prozentteil von etwa 5% heraufgesetzt werden. Zum Beispiel: Cäsium Cäsium ist ein golden glänzendes, weiches Metall. In der Natur ist Cäsium (Cs-133) äußerst selten. Die künstlichen Isotope, z.B. Cs-134 und Cs-137 sind alle radioaktiv. Cäsium 137 zählt zu den gefährlichsten Radionukliden der Welt und bildet sich bei der Kernspaltung. Cäsium 137 hat eine Halbwertszeit von etwa 30 Jahren. Es wird vor allem über die Nahrung (Fleisch, Milch, Milchprodukte) aufgenommen. Fazit Das Fazit dieser langen Abhandlung scheint ein resignierendes: Zu viele Widersprüche und politische Interessen durchweben das Forschungsfeld ,,Radioaktivität und radioaktive Kontamination von Gesundheit und Biosphäre" und verhindern eine objektive und sachliche Diskussion des Themas. Die scheinbar unendlichen Weiten der Meere suggerieren ein schadloses Verdünnen eingetragener Stoffe, und der bis heute geringe Wissensstand über die Verflechtungen von Lebensbeziehungen unterhalb der Meeresoberfläche behindert als weiteres Faktum die wissenschaftliche Untersuchung der Auswirkungen eines Übermaßes an Radionukliden in den Meeren. Die Diskussionen um die Radioaktivität wieder auf ein sachliches Niveau zu heben scheint dringend geboten, doch ein solcher Appell wäre bei weitem nicht der erste seiner Art und ebenso nicht der erste, der folgenlos verrauchen würde. Allein ein besseres Verständnis der hier beschriebenen Vorgänge und ein gewecktes öffentliches Interesse vermögen die politischen Dimensionen des Themas ,,Strahlenschutz für Mensch und Biosphäre" einzugrenzen und statt dieser die ihnen folgenden politischen Folgen öffentlich herauszufordern. Zu diesem, bei weitem noch nicht abgeschlossenen, gesellschaftlichen Lern- und Verständnisprozeß hoffe ich einen kleinen Beitrag hinzugesteuert zu haben. Für diese Arbeit danken wir Volker Schmidt Große Str.1 49377 Vechta